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Showtime!

Showtime!

Visionäre Studie ohne Bezug zur Realität: Der bildschöne Renault Trezor von 2016 wurde nie gebaut. Bild: PD

Lassen die spektakulären Studien und Concept Cars in die Zukunft der Mobilität blicken? Oder sind es nur Spielereien und Fingerübungen für Designer? «Autos haben eine Entwicklungszeit zwischen drei und vier Jahren», sagt Paolo Tumminelli, Designprofessor von der TH Köln. Ein knackiges Konzeptauto überbrücke oft die Wartezeit, baue Spannung auf und erzeuge Aufmerksamkeit.«Studien können dabei zeigen, was technisch und optisch möglich ist», ergänzt Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. «Ausserdem testen Hersteller die Reaktion des Publikums, um daraus Schlüsse für die Serie zu ziehen. Studien zeigten dem Publikum Modelle, die in ähnlicher Form später auf den Markt kommen, auch wenn einzelne Elemente nie serienreif werden». «Doch sehen solche Studien meist viel besser aus als das spätere Serienfahrzeug», sagt Professor Tumminelli. «Das ist schade, denn die Erwartungen des Publikums werden nicht getroffen – obwohl klar ist, dass sich viele Designlösungen nicht für die Serie realisieren lassen.»Manche Studien präsentieren eine neue Designlinie. Das passiere etwa dann, wenn ein neuer Chefdesigner berufen wird oder eine Marke ihr Design auffrischen wolle. Und letztlich gebe es Dreamcars: visionäre Fahrzeuge, wie die der Zürcher Ideenschmiede Rinspeed, die mitunter sogar schwimmen oder fliegen können. Diese sind zwar weit von der Realität weg, aber sie demonstrieren, was einmal möglich sein könnte. 

Sie sind die Stars an jeder Automesse und sehen aus wie aus einem Science-Fiction-Film: Konzeptautos sind für die Autobauer Visionen, mit denen sie neue Ideen für die Serienfahrzeuge von morgen entwickeln und testen.
 

Appetitanreger und Botschafter

Die Art der Autostudien hat sich über die Zeit geändert. In den Siebzigerjahren lag der Schwerpunkt auf Sicherheit, in den Achtzigern auf Aerodynamik, in den Neunzigern auf Tradition. Seit einigen Jahren drehen sich Konzeptfahrzeuge meist um Elektromobilität und um autonomes Fahren. Wenn Studien zu spacig aussehen, Sitze und Rückhaltesysteme ebenso fehlen wie Türen, haben sie kaum Chance auf eine Serienproduktion. Dann sollen sie lediglich eine Vision wie beispielsweise Mobilität in der Stadt in der Zukunft sein. Zu solchen visionären Studien zählen etwa Audi AI:ME, Renault Trezor oder Toyota ME.WE.

Für Autobauer sind Studien Appetitanreger und Botschafter. «Diese Studien lehnen sich an spätere Serienfahrzeuge an und sollen Lust auf das neue Auto machen», sagt etwa Daimlers Chefdesigner Gorden Wagener. Studien können eine Vision zeigen, um eine neue Botschaft zu transportieren. Mit der vor kurzem vorgestellten Vision AVTR geht Mercedes in Richtung Nachhaltigkeit: ein Auto, das sich wie ein Organismus verhält, das sich mit allen Sinnen erfahren lässt, Technik und Nachhaltigkeit zusammenführen will und aus recycelbaren Materialien besteht. Die Botschaft: Bis 2039 möchte Daimler seine Autos CO2-neutral produzieren.

«Showcars sind für uns Wow-Cars, irrationale Fahrzeuge, die designorientiert sind und keinen direkten Serienbezug haben, dafür aber viel Aufsehen erregen», sagt Wagener. «Ausserdem erarbeiten wir Designer uns damit neue Inspirationen, denn wir blicken bis zu zehn Jahre in die Zukunft.» Dadurch werde die Kreativität gefördert, was auch auf Serienfahrzeuge abstrahlt. Wagener sagt: «Expressive Wow-Cars überziehen zwar, aber auch hier müssen die Proportionen stimmen, das Fahrzeug muss schön und sexy aussehen.»

So ein Projekt kostet viel Geld, je nach Modell zwischen einer halben und einer Milliarde Euro. Darin enthalten sind Entwicklungskosten, Konstruktion, Produktionsanpassung und das Design. «Der Designbereich ist zwar klein, aber immens wichtig», sagt VW-Chefdesigner Klaus Bischoff. Bei Volkswagen arbeiteten etwa 400 Designer mit mehr als 10 000 Ingenieuren und müssten zunächst intern und später die Kunden von einem neuen Design überzeugen. «Erlebbare Studien sind ein wichtiges Instrument für das Unternehmen, um alle Beteiligten vom künftigen Produkt zu überzeugen», so Bischoff. «Wir nehmen die Reaktionen auf und entwickeln die Studien bis zur Serie weiter.» Während früher vermehrt Design-Utopien gezeigt wurden, besinnt sich VW nun auf bodenständiges Design mit einem konkreten Produkthintergrund. Jede Studie beziehe sich auf ein konkretes Projekt. «Unsere Showcars liegen dicht an Serienfahrzeugen. Sie sind wie ein Polarstern, der den Weg weist, wohin die Reise geht.»

Gesetze stoppen Visionen

Bei Studien können Designer alles ausprobieren und hoffen, dass sie mit den Ideen das gesamte Team überzeugen können. «In Abstimmung mit den Ingenieuren und in Anpassung an die gesetzlichen Bestimmungen bleiben ausgefallene Ideen dann oft den Studien vorbehalten», sagt Bischoff. Einzelne Themen können aber der Serie vorweggenommen werden. Die vor fast einem Jahrzehnt erstmals gezeigten digitalen Aussenspiegel mit Kameratechnik beispielsweise gibt es jetzt im neuen Audi E-Tron. Und Fahrzeuge der elektrischen ID-Reihe von Volkswagen kündigen seit 2016 verschiedene spätere Serienmodelle an. Das erste davon ist der ID.3, der in diesem Herbst kommt.

Manchmal benötigt es etwas mehr Zeit, bis eine Studie als Serienfahrzeug umgesetzt wird. Die Arbeiten am VW ID Buzz etwa sind für Chefdesigner Bischoff die Fortsetzung einer fast 20 Jahre langen Entwicklung. «Wir wollten den historischen Bulli aus den Fünfzigerjahren wieder aufleben lassen», sagt Bischoff. Mehrere Studien wie etwa der Microbus von 2001 sind entstanden. «Doch gesetzliche Bestimmungen wie Fussgängerschutz liessen keine Serienfertigung zu.» Erst jetzt, mit einer neuen Plattform, gelingt es endlich: Von 2022 an soll der VW ID Buzz verkauft werden. Fabian Hoberg