Interview mit Marietta Ungerer: Rührt Sie Weihnachtsmusik?

Marietta Ungerer, Sie erforschen die psychologische Wirkung von Musik. Kann ich vereinfacht sagen, dass Musikhören heilsam ist?
Marietta Ungerer: Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tun uns ja immer etwas schwer mit allgemeingültigen Aussagen, aber auf einer persönlichen Ebene kann Musik durchaus eine positive Wirkung haben. Zum Beispiel wissen wir, dass Musik beim Stressabbau helfen kann oder auch als Einschlafhilfe dient, solange sie nicht zu aufregend für die jeweilige Person ist.

Folglich kann mir Musik auch zu einer besseren Laune verhelfen?
Auf jeden Fall! Denken Sie nur daran, wie Ihnen Ihr Lieblingslied jedes Mal beim Anhören ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Die Forschung zeigt ausserdem, dass viele Menschen Musik nutzen, um ihre Stimmung zu verbessern, indem sie gezielt jene Musik hören, die bei ihnen positive Gefühle auslöst.

Musik gehört zu Weihnachten - in der Kirche oder in der Popmusik. Sind wir in der Weihnachtszeit empfänglicher als sonst für Musik?
Das würde ich so nicht sagen. Ich denke vielmehr, dass wir empfänglicher für die Gefühle sind, die die Weihnachtsmusik in uns auslöst. Man kann sich plötzlich sehr nostalgisch und an seine Kindheit zurückerinnert fühlen, was ein Glücksgefühl auslösen kann.

Aber mögen Menschen an Weihnachten bestimmte Instrumente besonders?
Natürlich gibt es Instrumente, die wir verstärkt mit Weihnachten in Verbindung bringen, etwa Glöckchen, man denke nur an Lieder wie «Jingle Bells» oder «Süsser die Glocken nie klingen». Aber ich denke, was die Menschen besonders schätzen, ist das Gefühl der Verbundenheit mit anderen. Gerade dabei kann Musik eine verstärkende Wirkung haben.

Wie wirken Singstimmen auf uns, zum Beispiel bei Chören?
Singstimmen scheinen eine beruhigende Wirkung auf uns zu haben. Das fängt schon ganz früh an, wenn die Eltern Wiegenlieder singen. Forschung über Chöre hat jedoch gezeigt, dass die Freude dann am grössten ist, wenn man selbst ein Teil davon ist. Dabei kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie gross die Gruppe ist oder wie gut man singt.

Menschen, die unter dem Jahr nie in Kirchen gehen, mögen trotzdem die Weihnachtsmesse, besonders Musik und das Singen. Täuscht dieser Eindruck?
Ich denke nicht, dass dieser Eindruck täuscht. Wie gesagt kann Musik das Gefühl der Verbundenheit mit anderen verstärken, gemeinsames Musizieren oder Singen sogar noch mehr als gemeinsames Hören. Weihnachten ist hierfür die ideale Gelegenheit. Das ist die Zeit im Jahr, in der wir versuchen, mehr Zeit mit der Familie und den Freunden zu verbringen.

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Also nicht nur die Musik, sondern auch das Teilen des Gesangbuchs macht Freude?
Ja, so könnte man das nennen. Der Besuch einer Weihnachtsmesse und auch das gemeinschaftliche Singen stärken das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gemeinde. Dieses Gefühl ist sehr wichtig für unser Wohlbefinden. Musik kann dabei helfen, Zugehörigkeit aufrechtzuerhalten oder zu fördern.

Mögen Sie persönlich im Advent eine bestimmte Musik?
Ich bin da eher traditionell und höre und singe sehr gerne die Lieder aus meiner Kindheit, so ist «Stille Nacht» immer ein Muss an Heiligabend. Die berühmt-berüchtigten Poplieder hört man ja oft genug beim Einkaufen, die brauche ich nicht extra noch zu Hause. Trotzdem bin ich auch immer offen für Neues und entdecke gern neue Musikstücke. Ich bin der Meinung, je mehr Musik an Weihnachten, desto besser.

Zur Person

Marietta Ungerer (24) ist in Bern aufgewachsen und hat in Hamburg Systematische Musikwissenschaft und Psychologie studiert. Ihre Doktorarbeit (University of Hertfordshire, UK) widmet sie der motivierenden Wirkung von Musik bei Parkinsonbetroffenen. An der Hochschule Luzern ist sie an der Entwicklung einer musikbasierten Therapie für Parkinsonbetroffene beteiligt. (to)