Gewöhnlich erkennt man die Modelle von Audi Sport, der ehemaligen Quattro GmbH, an ihren dicken Kotflügelbacken und grollenden Acht- oder Zehnzylindermotoren. Doch in Zeiten von CO2-Reduzierung und Nachhaltigkeit kann Audis Performance-Tochter auch ganz anders – leise und elektrisch. Dass damit mindestens ebenso faszinierende Fahrleistungen möglich sind, zeigt der RS e-tron GT. Das fünf Meter lange Grand-Turismo-Coupé teilt sich die Technik mit dem Porsche Taycan und wird im Mai 2021 in den Handel gehen.
Nie zuvor in seiner Firmengeschichte brachte Audis Performance-Tochter, die Audi Sport GmbH, ein stärkeres Modell auf die Strasse. Und erstmals ist es elektrisch – der RS e-tron GT hat 646 PS.
Der Grund, warum die Entwickler ein halbes Jahr vorher nur einen begrenzten Einblick ins Cockpit geben und die Karosserie des e-tron GT unter einer Tarnfolie steckt, ist: Das Fahrzeug ist ein Vorserienmodell. Man will sich die Überraschung noch bis zur Weltpremiere Anfang des nächsten Jahres aufheben.
Autofahren in neuer Dimension
Von Beginn der Entwicklung an stand dafür der Entschluss fest, den Audi e-tron GT auch in einer Hochleistungsversion über die Audi Sport GmbH zu vertreiben. Der RS e-tron GT ist mit seinen 475 kW/646 PS nicht nur das erste elektrische Modell der Audi-Tochter, sondern gleichzeitig überhaupt deren stärkstes. Wie die konventionell angetriebenen RS-Modelle zielt der GT-Stromer auf eine kaufkräftige und technikaffine Kundschaft, die stets das Extreme haben möchte.
Und davon bietet der RS e-tron GT genug. Die Marke von 100 Kilometer pro Stunde ist nach wenig mehr als drei Sekunden durcheilt. Wie von einem riesigen, gespannten Gummiband losgelassen schiesst der immerhin 2,3 Tonnen schwere GT nach vorn. Doch noch eindrucksvoller sind Zwischensprints, beispielsweise aus 60 oder 80 Kilometer pro Stunde. 830 Newtonmeter sind augenblicklich abrufbar und machen Überholvorgänge zu einer Sache von wenigen Sekunden.
Dabei benimmt sich der RS e-tron GT in keiner Weise krawallig. Er gleitet leise und geschmeidig dahin – mit einer unfassbaren Leichtigkeit und Souveränität. Es ist Autofahren in einer neuen Dimension. Wer sie einmal erlebt hat, wird vermutlich nie wieder zu einem Verbrennungsmotor zurückkehren.
Wichtig war den RS-Entwicklern beim e-tron GT neben der Performance eine hohe Alltagstauglichkeit und viel Komfort. Selbst kurvige Strassen mit weniger glattem Asphalt bringen die Coupé-Limousine auch bei zügigem Tempo nicht die Spur aus der Ruhe. Massgeblich beteiligt daran sind unter anderem die Luftfederung, die adaptive Dämpferregelung und die mitlenkende Hinterachse. Alles serienmässig an Bord.
Um jeden Millimeter gekämpft haben dürften die Designer beim Package. Denn der RS e-tron GT ist ein flaches Coupé und kein hohes SUV. So musste nicht nur eine riesige Batterie (83,7 kWh/ 650 Kilogramm) im Boden untergebracht werden, sondern zwei Erwachsene sollen hinten auch noch bequem sitzen können. Zudem sollte der Kofferraum brauchbare Alltagsmasse haben und erweiterbar sein. Ergebnis: Aufgabe gelöst. Ins Heck passen immerhin 350 Liter, die dreigeteilten Rücksitzlehnen lassen sich umlegen. Und weil vorne unter der Haube kein grosser Verbrenner mehr sitzt, nutzte man den freien Raum für ein weiteres Gepäckfach (80 Liter), bestens geeignet zur Unterbringung der Ladekabel.
In fünf Minuten 100 Kilometer Reichweite
Wie der Porsche Taycan verfügt auch der RS e-tron GT über ein 800-Volt-System (alle anderen Elektroautos haben 400 Volt). Die Hochvolt-Technik erlaubt wesentlich höhere Ladeleistungen und damit kürzere Ladezeiten. Die möchte man schliesslich an einer wenig charmanten Autobahnraststätte ja so knapp wie möglich halten. An Gleichstrom- HPC-Säulen (High Performance Charging) können bis zu 270 kW an Leistung übertragen werden. Damit liessen sich im Bestfall innerhalb von fünf Minuten gut 100 Kilometer Reichweite «nachtanken».
Beim RS e-tron GT wird es in dieser Leistungsausprägung sicher nicht bleiben. Wer ein wenig die Philosophie des Hauses kennt, weiss, dass Audi Sport gern mal eine «Plus»- oder «Performance»-Variante der einen oder anderen Baureihe nachreicht. Denn die Marketing- Experten im Haus der Ringe wissen nur zu gut, dass es vor allem im Hochleistungsbereich immer noch viele Kunden gibt, denen genug einfach nicht genug ist. Michael Specht