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«Banker-Spiel» statt Turniere

«Banker-Spiel» statt Turniere

Profigolfer Benjamin Rusch hofft, ab Mitte Juli wieder an Turnieren spielen zu können. Bilder: PD

«Riesig» habe er sich auf die erste Golfrunde seit dem Lockdown gefreut. «Ich bin schon am Morgen der Wiedereröffnung auf meinen Heimplatz in Lipperswil gefahren und habe die 18 Löcher trotz mittelprächtigem Wetter mehr als nur genossen », erzählt Benjamin Rusch. Mittlerweile könne er praktisch wieder normal trainieren, freut er sich. Als Berufsgolfer blieb dem 30-jährigen Weinfelder in der Corona-Krise nur das Ausweichen in den Keller eines Kollegen. Praktisch jeden Morgen habe er dort zwei bis drei Stunden an der Technik gearbeitet. «Mit dem sogenannten Trackman arbeite ich auch sonst das ganze Jahr, der Computer berechnet jedes Detail des Schwungs, und mit eigenen Tests sieht man genau, wo man sich verbessert, aber auch wo nicht», erläutert Rusch. Er versucht, das Positive zu sehen. «Normalerweise haben wir praktisch keine Zeit zwischen den Turnieren für eine längere Trainingsphase, nun versuchte ich die acht Wochen möglichst gut zu nutzen.» Ähnlich sei es auch mit dem Krafttraining. Die Phase der geschlossenen Golfplätze nutzte der Thurgauer deshalb, um zusammen mit seinem Zürcher Kollegen Marco Iten dreimal pro Woche bei ihm zu Hause (ebenfalls im Keller) an den Kraftgeräten zu trainieren. «Zu zweit ist das eindeutig lustiger. Wir sind in der letzten Saison oft zusammen zu den Turnieren gereist. Jetzt versuchen wir, gemeinsam das Beste aus der Situation zu machen.»  

Der Thurgauer Profi golfer Benjamin Rusch hofft, ab Mitte Juli wieder in der Challenge Tour um Preisgeld zu kämpfen. Unter anderem mit einem «Banker-Spiel» bereitet er sich nach der Zwangspause darauf vor.

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Aufstieg nicht möglich

Rusch hatte sich vergangene Saison für die Challenge Tour, die zweithöchste Stufe im europäischen Golf qualifiziert. Sein Ziel war der weitere Aufstieg in die European Tour. «Wegen der vielen abgesagten Turniere gibt es dieses Jahr keine Aufsteiger, das ist natürlich schade», sagt der Ostschweizer zur speziellen Saison 2020. So werde es eine Art Zwischenjahr, es sei jedoch jetzt schon klar, dass er auch im nächsten Jahr wieder in der Challenge Tour mitspiele, fügt er an. Die ersten beiden Turniere in Südafrika waren für Rusch nicht wunschgemäss gelaufen, doch bevor die Saison richtig Fahrt aufnehme konnte, wurde sie vom Virus gestoppt.
  

«Ich bin schon am Morgen der Wiedereröffnung auf meinen Heimplatz in Lipperswil.»

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Nach der Zwangspause sind die ersten Turniere auf Mitte Juli in Österreich angesetzt, drei Wochen später ist die Swiss Challenge im Golfclub Sempachersee geplant. «Klar hoff en alle, dass wir dieses Jahr die restlichen Events noch austragen können, ohne Turniere gibt es natürlich kein Preisgeld.» Als selbstständig Erwerbender habe er von einer Covid-19-Entschädigung profitiert. «Der Kanton Thurgau hat dies äusserst speditiv erledigt. Vom Schweizer Golfverband bekam ich ebenfalls eine kurzfristige Unterstützung», erläutert
    

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Rusch auf eine entsprechende Frage. Rund 80 000 bis 90 000 Franken kostet ihn eine «normale» Golfsaison, inklusive aller Reisen, Coaches, Wohnen und Essen. Er sei sich mittlerweile gewohnt, günstig zu fliegen, in Airbnb-Wohnungen zu übernachten und gemeinsam mit Kollegen auch selbst zu kochen. Während einige Weltstars mit dem Privatjet von Turnier zu Turnier fliegen, suchte Rusch jeweils nach einem günstigen Mietauto, um vom Flughafen zum Golfplatz zu kommen. «Wie sich das Reisen künftig verändert, wissen wir noch nicht, aber wir werden uns anpassen müssen», ist sich der Golfprofi mit einem Bachelor in Foreign Affairs der Universität Virginia in Charlottesville, USA, sicher.

«Ich muss mich so vorbereiten, dass ich Mitte Juli bereit bin, egal ob wir dann starten oder erst später.»

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«Banker» spielen als Vorbereitung

«Ich muss mich so vorbereiten, dass ich Mitte Juli bereit bin, egal ob wir dann wieder starten können oder erst später», erzählt er zur aktuellen Ausgangslage. Was ihm trotz normalem Trainingsbetrieb derzeit fehle, sei das Wettkampfgefühl. «Im Golf geht es fast immer darum, mit Druck umzugehen, das kann man nur teilweise simulieren», weiss Rusch aus seiner langen Erfahrung. Ohne offizielle Turniere bleibt ihm derzeit nur der Kampf Mann gegen Mann. Ein- bis zweimal pro Woche spiele er nun unter anderem gegen seinen Trainingspartner Marco Iten um Geld. Das ist noch nichts Ungewöhnliches, das machen weltweit viele Profi s und Amateure. Das Spezielle beim sogenannten «Banker-Spiel»: Der «Banker» kann den Einsatz bei jedem Loch verdoppeln, solange der Ball noch in der Luft ist. Das Ganze funktioniert natürlich auch zu dritt oder viert, die Rolle des «Bankers» wechselt, je nach Spiellaune können pro Loch 30 bis 50 Franken zusammenkommen. «Das Geld, vor allem zusammen mit den dummen Sprüchen der Kollegen, ergibt dann so etwas Ähnliches wie den Performance Druck bei einem Turnier, gleichzeitig ist es eine lustige Abwechslung zum Indoor-Training, welches ich diesen Frühling mehr als genug genossen habe», lacht Rusch. Stefan Waldvogel