Mentales Training wird im Golf immer noch viel zu oft zugunsten der Technik vernachlässigt. Als ehemalige Spitzensportlerin weiss Proette und Mental Coach Jill Kinloch, wie wichtig es ist, sich Gedanken über die eigenen Gedanken zu machen. Einige Tipps zur mentalen Stärkung. Suzana Cubranovic
Typisch Anfänger – der Probeschwung
Kaum stehen Golfanfängerinnen und -anfänger auf dem Golfplatz, sind sie überzeugt, ohne Probeschwung vor dem langen Spiel klappt der Schlag niemals. Die Idee eines Probeschwunges ist, den Rhythmus zu spüren, aber auch das Gras zu berühren. Gelingt das nicht, macht sich Verunsicherung breit, sofort wird zum zweiten Probeschwung angesetzt. Doch die Gedanken sind schon auf Versagen programmiert, sodass der Rasen meist wieder nicht berührt wird. Der Anfänger gerät unter Druck und ist schon vor Beginn überzeugt: «Das Spiel geht sowieso in die Hose.»
Tipp von der Mentaltrainerin
Misslingt ein Probeschwung, ist das viel schlimmer, als wenn man keinen Probeschwung macht. Das kostet Zeit, viel Konzentration und verunsichert. Darum sollten Anfängerinnen und Anfänger den Probeschwung vor dem langen Spiel besser weglassen.
Typisch Fortgeschrittene – der Druck
Viele Golferinnen und Golfer sind erfolgreich in anderen Sportarten wie beispielsweise Tennis. Sie wollen auf Biegen und Brechen auch auf dem Golfplatz reüssieren und setzen sich selbst unter Druck. Tritt der erwünschte Erfolg nicht gleich ein, können sich viele nicht beherrschen, sie werden laut, fluchen, beschimpfen sich selbst. Oft bemerken sie ihre negative Körpersprache nicht, hören nicht, was sie sagen und wie sie dabei auftreten. Doch es ist häufig der Grund für Mitspielerinnen und Mitspieler, nicht mehr mit dieser Person auf einen Flight zu gehen.
Tipp von der Mentaltrainerin
Man sollte seine eigenen Selbstgespräche belauschen und lernen, mit sich selbst zu sprechen, wie man es mit einem Spielpartner, dem besten Freund oder der besten Freundin tun würde. Würde dem anderen ein Schlag misslingen, würde man nie sagen, was man sich selbst alles an den Kopf wirft. Es ist wichtig, nett und nachsichtig mit sich selbst zu sein. Wer darauf achtet, lernt mit der Zeit, sich zu beherrschen – das hilft nicht nur beim Golfspiel, sondern allgemein im Leben. Wichtig: Achtsam sich selbst gegenüber zu sein, muss man genauso trainieren wie die Golftechnik.
Typisch Anfänger – die Überforderung
Auf der Driving Range schlagen Anfängerinnen und Anfänger mehrere Bälle hintereinander und machen sich nicht so viele Gedanken. Kaum stehen sie auf dem Platz, machen sie sich viel zu viele Gedanken. Fragt Proette Jill Kinloch nach, vergehen nicht selten bis zu zehn Minuten, bis alle Schwunggedanken aufgezählt sind.
Tipp von der Mentaltrainerin
Golfanfängerinnen und -anfänger sollten mit genau einem Schwunggedanken auf den Platz gehen, sonst sind sie überfordert. Ein Klassiker ist: die linke Schulter hinter den Ball drehen. Auf der Driving Range kann man auf drei Gedanken erhöhen. Diese sollen nicht nur der technischen Vorbereitung dienen. Zur mentalen Vorbereitung eignen sich: atmen, visualisieren, den Schlag im Kopf üben.
Typisch alle – die fehlende Akzeptanz
Golferinnen und Golfer haben oft nur das Ergebnis im Kopf. Landet der Ball im Wald, denken sie bei jedem weiteren Schlag: «Hoffentlich landet der Ball nicht wieder im Wald.» Die Wahrscheinlichkeit, dass mit diesem Fokus genau das passiert, ist gross. Misserfolge sind es denn auch, die nach dem Spiel im Clubhaus hauptsächlich diskutiert werden. Die guten Schläge finden kaum Erwähnung.
Tipp von der Mentaltrainerin
Nicht das Ergebnis ist wichtig, der Prozess ist es. Denn er beinhaltet die ganze Vorbereitung, das Üben, das Lernen. Wenn man sich gut vorbereitet hat, gibt man sein Bestes. Landet der Ball dann trotzdem im Wald, ist das nicht weiter schlimm. Man sucht den Ball, findet ihn und gibt beim nächsten Schlag wieder sein Bestes, denn: «Warum soll der Ball nicht auf dem Fairway landen?» Im Golf hat man immer die Chance, es beim nächsten Schlag besser zu machen, und wer die positiven Gedanken sowie noch so kleine Erfolge im Kopf speichert, hat gute Voraussetzungen, sein Spiel zu verbessern. Negative Gedanken dagegen sind wie Ballast, schwer und nagend.
Typisch Fortgeschrittene – die Verbissenheit
Golfspielerinnen und -spieler, insbesondere Fortgeschrittene mit einer bereits guten Technik, stehen sich oft selbst im Weg. Sie fangen das Spiel ehrgeizig an und plötzlich kippt es und sie spielen nur noch verbissen, was sich auf die Qualität auswirkt.
Tipp von der Mentaltrainerin
Verbissenheit auf dem Golfplatz ist ganz schlecht: Der ganze Körper ist angespannt, die Muskulatur, aber auch die Gedanken. Der Kopf muss entspannt sein, um locker zu schwingen. Hat jemand die feine Linie zwischen Ehrgeiz und Verbissenheit überschritten, sinkt die emotionale Stabilität. Es hilft, sich auf den Augenblick zu fokussieren. Schritt um Schritt, Schwung um Schwung, Schlag auf Schlag.
Zur Person
Jill Kinloch stammt ursprünglich wie der Golfsport aus Schottland. Mit 14 Jahren war sie schottische Juniorenmeisterin in Tennis und Squash. Im gleichen Jahr sah ihr ein Amerikaner in einem nordschottischen Golfresort beim Golfen zu und erkannte ihr Talent. Der Mann, der in seinen jungen Jahren als Student der Yale University erstmals nach Schottland reiste und von der Gastfreundschaft überwältigt war, lud sie und ihre Eltern kurzerhand nach Amerika ein. Dort nahm sie an zwei grossen Golfturnieren teil und danach war für Jill Kinloch klar: «Ich werde Golf Professional.» Innert sechs Jahren erreichte sie ein Handicap von +3, absolvierte das Business Studium in Marketing und Sportsmanagement an der University of Georgia und qualifizierte sich 1990 für die Ladies European Tour, wo sie bis zu einer Verletzung 1996 erfolgreich spielte. Seit 1997 gibt sie ihre Begeisterung und ihr Know-how als Golfproette weiter, erst in Deutschland, ab 2008 in der Schweiz. Jill Kinloch ist Mitglied der Swiss, German und Britisch Professional Golfers Association, sie ist unter anderem PGA Health Professional und ausgebildet in Sportpsychologie für Golf. Die 53-Jährige, die aufgrund ihrer Strenge und Konsequenz im Job den Spitznamen «Drill Jill» trägt, lebt heute mit ihrem Ehemann in Lindau und unterrichtet bei John’s Golf in Wiezikon bei Sirnach (www.jillgolf.com). (scu)
Frauen im Golfsport
In der Schweiz gibt es ein knappes Dutzend Golfproetten, Jill Kinloch zählt dazu. Sich als Frau im Golfsport durchzusetzen, sei nicht immer einfach gewesen, sagt sie. Dass es weltweit so wenige Frauen im Golfsport gibt, liegt nicht zuletzt daran, dass die Mitgliedschaft in Golfclubs lange ausschliesslich Männern vorbehalten war. In ihrer Heimat Schottland gab der letzte Golfclub erst 2019 die «Men only»-Politik auf. (scu)