Wer in der Schweiz wissen will, wie kreislaufgerechtes Bauen in der Praxis funktioniert, kommt am Baubüro In situ nicht vorbei. Ihre Expertise ist das Weiterbauen am Bestand. In situ verwendet wo immer möglich Bauteile und Materialien wieder, die bei Rückbauten anfallen. Fenster, Trapezblech, Radiatoren, ganze Treppen oder Reststücke von Dämmmaterial: Was so energieintensiv in der Produktion, langlebig und robust ist, kann zu einem zweiten Leben erweckt werden. Mit Vorgefundenem Neues kreieren: Das schont die Umwelt am nachhaltigsten. So lautet die Bauphilosophie von In situ.
Bauen: Das Baubüro In situ hat in Winterthur eine hundertjährige Industriehalle ausgebaut und aufgestockt – mehrheitlich mit wiederverwendeten Bauteilen. Sogar die stählerne Tragstruktur war vorher in einem anderen Gebäude.
Erst finden, dann zeichnen
Mehr als 20 Jahre Erfahrung hat In situ mit zirkulärem Bauen. Auf all die praktikablen Lösungen musste In situ von allein kommen. «So zu bauen, lernt man nicht im Studium», erklärt Architektin und Mitglied der Geschäftsleitung Kerstin Müller. Schon die Planung ist anders. Im Normalfall erstellen Architekten ihre Pläne und bestellen dann die gewünschten Teile. Bei in situ läuft es umgekehrt: Erst das für gut befundene Bauteil bestimmt die Ausgestaltung und setzt den kreativen Prozess in Gang.
Gestaltungswille anhand des Vorhandenen ist das eine, Sucherinstinkt das andere. Bauteile finden ist kein standardisierter Prozess. In situ entsendet ihre Bauteiljäger und stellt bei Rückbauten Brauchbares sicher. Immer öfter wird In situ aber auch über Rückbaupläne informiert. Professionell vernetzte Bauteilmärkte (siehe Box) plus die interne Datenbank erleichtern die Suche und Vermittlung ebenfalls zunehmend.
Neu hat In situ in Winterthur im Auftrag der Stiftung Abendrot das Pilotprojekt K118 (Kopfbau der Halle 118) fertiggestellt. In situ war für Ausbau und Aufstockung der hundertjährigen Sulzer Industriehalle verantwortlich. Drei neue Stockwerke kamen auf die bestehende Industriehalle zu stehen und bieten ab sofort Platz für Werkstätten und Ateliers.
Insgesamt sind schätzungsweise 60 Prozent der Teile wiederverwendet, bei den sichtbaren Oberflächen sind es sogar fast 100 Prozent. Notwendige Verstärkungen wurden, wo machbar, mit dem klimafreundlichen Zement CEM IIIB realisiert. Dazu kommen einfache und ökologische Baustoffe wie Holz, Stroh und Lehm, die unter minimalem Einsatz von grauer Energie verarbeitet werden und auch noch gut fürs Raumklima sind. Eine externe Spezialistin hat berechnet, dass die Realisierung von K118 gegenüber einem Neubau rund 59 Prozent Treibhausgase einspart. Tiziana Ossola
Weitere Informationen und Inspirationen zum Thema zirkuläres Bauen
Bauteilbörsen:
www.bauteilclick.ch
www.salza.ch
www.materiuum.ch
Beratung für Planende, Behörden, Fachleute und Private:
www.zirkular.net
Dachverband:
www.cirkla.ch
(Site im Aufbau)
Die Stahlträger
Die Stahlstruktur stammt von einem rückgebauten Lebensmittellager in Basel. Erst 17-jährig, sind die hochwertigen Elemente nicht am Ende ihres Lebenszyklus. Sie wurden von Ingenieuren begutachtet und auf statische Tauglichkeit geprüft.
Das sagt Kerstin Müller: Tragende Stahlstrukturen wiederzuverwenden, ist immer noch eine Seltenheit. Wir wollten die Stahlträger der obersten zwei Etagen in ihrer Originalgrösse belassen. Das führte zu einem viereckigen Grundriss, und die obersten zwei Stockwerke stehen nicht senkrecht über den Etagen darunter. Die Form eines Gebäudes richtet sich zum einen nach den Anforderungen an den Bau, zum anderen nach dem verfügbaren Material.
Die Fenster
Die Mehrheit der Fenster stammt aus dem rückgebauten Orion-Bürogebäude in Zürich. 44 Stück dreifach verglaste Alufenster aus dem Gebäudeinnern, alle rund 30 Jahre alt und geprüft, sind im K118 verbaut. Die übrigen Orion-Fenster werden demnächst beim Empa-Projekt «Sprint» eingesetzt. Zudem wurden im K118 zweifach verglaste Fenster verbaut, wobei immer zwei hintereinander als Kasten montiert wurden.
Das sagt Kerstin Müller: Wir arbeiten immer mit lokalen Fensterbauern zusammen. Sie beurteilen die Qualität der Fenster, kümmern sich sowohl um den Rückbau als auch um die Einpassung am neuen Ort. Auf dem Gebiet zirkulären Bauens bildet sich mehr und mehr handwerkliche Expertise heran und die Wertschöpfung bleibt in der Schweiz.
Das Trapezblech
Trapezblech ist bei Industriebauten ein häufig vorkommendes Material. Eine rückgebaute Druckerei in Winterthur lieferte oranges Trapezblech in ausreichender Menge. Dieses Material ist besonders beständig. Es bildet die vorderste Ebene einer hinterlüfteten und somit gut isolierten Fassade.
Das sagt Kerstin Müller: Um die Vielzahl von Fenstern in unterschiedlichen Grössen in der Fassade zu platzieren, braucht es hinter der orangen Fassade ein flexibles Rahmensystem. Wir arbeiten seit langem mit Holzständerwänden, in welche die Fenster eingebaut werden. Wir entwickeln dieses System stetig weiter. Idealerweise ist auch dieses rückbaufähig. Dann können wir Fenster sogar durch anders formatige ersetzen.