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Völlig stromgelöst

Energiediskussion: Das Thema Blackout geistert aktuell als Schreckgespenst durch die Medien und viele Köpfe. Das Szenario ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Unserer Autorin reicht das, den Ernstfall im Kleinen zu testen. Drei Tage lang.

Völlig stromgelöst

Lesen bei Kerzenlicht hat etwas beruhigend Altertümliches. Bilder: getty/dom

Wir sind keine Prepper, verfallen nicht in Panik und rechnen auf keinen Fall mit dem Schlimmsten. Aber wir wollen es einfach wissen: Wie lebt es sich ohne Strom – zumindest während drei- er Tage? «Jeder solle sich überlegen, was er im Falle eines mehrstündigen Stromausfalls täte», riet im August bereits der Präsident der staatlichen Regulierungsbehörde im Elektrizitätsbereich (Elcom), Werner Luginbühl. Und es wäre ratsam, in der kalten Jahreszeit genügend Kerzen und Heizholz daheim zu haben. Kerzen haben wir genug, an Heizen möchten wir im Moment bei Temperaturen von über 26  Grad nicht denken. Die Ausgangslage: eine Vier-Zimmer-Wohnung in einer Altbau-Mietwohnung im zweiten Stock, ohne Kamin, ohne Gasherd. Dem 13-Jährigen des Haushalts gruselt es jetzt schon vor der Umsetzung, während die Mutter durchaus einen pädagogischen Nutzen sieht. Bei sommerlichen Temperaturen muss man natürlich improvisieren und manches kann nur im Kopf durchgegangen werden. Deshalb lassen wir auch den Kühlschrank an, in der kalten Jahreszeit übernähme unser Balkon dessen Funktion. Auch das WC wird weiter benutzt. So hart sind wir dann doch nicht. Doch sonst heisst es: Stecker ziehen, Hauptsicherung umlegen. Wasserhähne mit einem Post-it versehen: Benutzung sträflich untersagt.Das liebe WasserDie Vorbereitung nimmt viel Zeit und Energie in Anspruch. Das Internet ist voll von «Stromausfall für Einsteiger»-Videos. Wir sind keine Horter, haben weder einen Stock an WC-Papier noch an Wasserflaschen. Das wird sich nun ändern. Und gerade das Thema Wasser wird uns noch sehr beschäftigen, zumal wir den Verbrauch gnadenlos unterschätzen werden. Dabei muss man erst einmal wissen, dass die meisten Wasserwerke auf elektrische Pumpen angewiesen sind, um das Trinkwasser in die entsprechenden Hochbehälter pumpen zu können. Die Wasserversorgung ist also im Allgemeinen vom Stromnetz abhängig. «Bei einer allfälligen Strommangellage von ein paar Stunden bekäme die Trinkwasserversorgung stets eine sehr grosse Priorität», so Jasmin Gianferrari, Mediensprecherin der IWB. «Auch wenn es andernorts allenfalls bereits Einschränkungen geben sollte, wird die Trinkwasserversorgung noch mit Strom beliefert.» Anders sähe es bei einem Stromausfall von einigen Tagen aus. Dafür seien dann mobile Trinkwasseraufbereitungsanlagen und eine Notwasserabgabe ab diversen Grundwassernotbrunnen vorgesehen. Unser regionales Energieunternehmen kann zudem über Notstromaggregate immer eine gewisse Menge Trinkwasser ins Netz einspeisen. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesverteidigung empfiehlt dennoch, neun Liter Trinkwasser pro Person im Haushalt vorrätig zu halten. Diese Menge sollte im Notfall zum Trinken und Kochen für drei Tage ausreichen.

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Mit der mobilen Solarlampe durch Raum und Zeit.
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Zuverlässiges Sonnenglas.

Rahmfrikadelle im Dosenbistro

Wir haben also 20 Liter Trinkwasser im Keller gelagert. Doch was ist mit Hygiene? Dafür haben wir vorab zwölf 0,75 Literflaschen mit Hahnenwasser aufgefüllt. Auch unser Essensvorrat ist aufgestockt: Konserventomaten, Tütensuppen, Eingemachtes, Obstkonserven, Gurken, Paprika, Pasta, Polenta, Äpfel, Milch, viele Karotten und Rettich. Dazu Zwieback, Knäckebrot, Brotaufstriche aus Obst und Gemüse und viel Schokolade. Im Winter kämen sicherlich noch Kürbisse hinzu. Bei der Recherche sind wir sogar auf einige spezialisierte Internetseiten gestossen, bei denen man einen Wochenvorrat an Dosenfutter bestellen kann, der 15 Jahre haltbar ist. 15 Jahre! Darunter so wohlklingende Kompaktnahrung wie «Dosenbistro Rahmfrikadelle». Die haben wir nicht, aber alle möglichen Dosenbistro-Varianten an Raviolis, Eintöpfen, Chilis und Currys. Unser Müllvermeidungsprogramm wird drei Tage ausgesetzt.

Powerbank versus Campingromantik

Weiterhin überprüfen wir unsere Anzahl Decken und Schlafsäcke, um die Kälte im Winter zumindest in Gedanken nachzuspielen. Kerzen sind sowieso immer im Haus, doch auch die werden aufgestockt. Mit reinen Wachskerzen, die sind gesünder, haben weniger Schadstoffe, denn Kerzen sind eine nicht zu unterschätzende Feinstaubquelle, wie wir im Handel erfahren. Dazu besorgen wir jede Menge Streichhölzer und eine Kurbel-Taschenlampe. Solarlampen haben wir auf dem Balkon, die werden abends reingeholt. Und wir besorgen uns einen Campingkocher mit Gas. Campingfeeling will sich breit machen, doch die Vorstellung einer Backto-the-Roots-Romantik wird von dem 13-jährigen Realo-Pubertier zunichtegemacht, der eine unverklärte Sicht auf die Realität hat. Dazu gehört, das Handy mittels 20 000 Milliamperstunden starker Powerbank für die nächsten drei Tage am Leben zu erhalten. Wie soll man sonst gamen?

Kaffee? Erst mal nicht

Der Handywecker klingelt am nächsten Tag um halb acht, der Alltag soll schliesslich weitergehen – ein Blackout unterscheidet nicht zwischen Wochenende und Arbeitstage. Und schon die erste Herausforderung: der Kaffee. Statt wie gewohnt auf den Knopf der Siebträgermaschine zu drücken, muss der Gaskocher angeschmissen werden. Der Instantkaffee vom Campingkocher schmeckt gewöhnungsbedürftig, aber erfüllt seinen Zweck: Er macht wach.

Nachdem wir die Zähne mit dem Wasser aus der Wasserflasche geputzt haben, ist Junior froh, dass er sich in die Schule verkrümeln kann, wo Normalität herrscht. Wenn nicht, käme er nicht einmal durch die elektrische Schuleingangstüre. Ich stelle mir vor, wie unheimlich ruhig und still es in der Stadt wäre. Bleibe aber vorerst alleine mit meinen Vorstellungen. Und mit meinen Fragen. Vor allem jetzt beim Anblick des WCs. Ich bin heilfroh, dass wir hier eine Ausnahme machen. Doch wie lange würden die Kläranlagen bei Stromausfall funktionieren?

Der Charme der Einfachheit

Ich mache mich ans Arbeiten. Mein Computer funktioniert ein paar Stunden, dann braucht er den Saft aus der Powerbank. Ebenso mein Handy. Aber was ist mit unserem Festnetzanschluss? Mit ein wenig Wehmut denke ich an mein analoges Telefon, das vor kurzem abgeschafft wurde. Es hätte wohl auch ohne Strom funktioniert. Der Tag verläuft problemlos stromlos – wir müssen ja auch nicht heizen und es ist lange hell. Am Abend wird der Gasgartengrill angeschmissen, es gibt Gemüse und Würste statt Dosenravioli vom Gas-Campingkocher. Allerdings braucht es allein 1,5 Liter zum Salatwaschen. Für die Dunkelheit draussen und in der Wohnung kommen unsere Solarlampen vom Balkon zum Einsatz und mein heiss geliebtes Sonnenglas, das tatsächlich seit zehn Jahren zuverlässig Licht gibt und praktisch überall mit hingenommen werden kann. Die Atmosphäre aus Kerzen und zwei Solarlampen entspannt und sorgt für eine ganz besondere Stimmung, in der die Zeit angehalten scheint. Tatsächlich scheint sich auch der 13-Jährige langsamer fortzubewegen und will gar nicht gamen. Mit der Taschenlampe lesen wir noch ein wenig und gehen früh schlafen.

Stimmungsvoll und herausfordernd

Am nächsten Morgen bin ich überrascht, wie viel Wasser wir schon verbraucht haben. Dabei haben wir noch gar nicht gespült. Und so stapelt sich das Geschirr im Spülbecken und schaut uns vorwurfsvoll an. Es gibt zwei Optionen: Wir können auf dem Gaskocher Wasser aufkochen, mit zwei Liter Flaschenwasser auffüllen und spülen. Oder das Geschirr noch einen Tag liegen lassen. Für diese schwere Entscheidung braucht es erst einen Gaskocherinstantkaffee. Erst danach fällt mir eine naheliegende dritte Option ein: Das schmutzige Geschirr wird einfach in die Geschirrspülmaschine geräumt – aus den Augen aus dem Sinn. Ich orientiere mich an dem vielgelebten Grundsatz unserer Gesellschaft, was die wirklichen Probleme angeht. Und heute Abend? Einweggeschirr statt Teller? Entspricht eigentlich nicht unserer Überzeugung. Doch auch für das Begraben der eigenen Prinzipien ist der oben genannte Grundsatz eine grosse Hilfe. Vielleicht gibt es aber auch einfach Sandwiches auf die Hand und die werden tellerlos im Garten verzehrt. Bei vorgestellten minus zehn Grad. Improvisation ist alles.

Die nächsten beiden Tage verlaufen relativ gleich und problemlos, allerdings haben wir am zweiten Tag schon zu wenig Wasser und ich bin gezwungen, den Hahn anzudrehen. Die Menge an Wasser einzuschätzen, das Flaschenwasser richtig zu handhaben und zu portionieren, war tatsächlich die grösste Herausforderung, während die Abende – geprägt durch die Absenz von Licht und Unterhaltungsmedien – von allen sehr genossen wurden. Das Zusammensitzen bei Kerzenschein sorgte für Gespräche, die nie geführt worden wären, und das Lesen mit der Taschenlampe für kindliche Nostalgie. Dafür werden wir auch in Zukunft einen stromlosen Abend in der Woche beibehalten. Das Trink- und Duschwasser, das wie selbstverständlich aus dem Wasserhahn kommt, hat für uns an Bedeutsamkeit gewonnen. Vor der ausfallenden Heizung allerdings, die wir nicht simulieren konnten, bleibt grosser Respekt. Dominique Simonnot