BMW steht unter Strom. Wenn ein Autohersteller die Freude am Fahren in der DNA trägt, dann muss die Transformation in ein neues Zeitalter besonders glaubhaft erfolgen. Die Reise in die Zukunft begann bei den Bayern bereits 2013 mit dem kompakten i3, es folgten der Supersportstromer i8 und der SUV iX3.Und nun landet mit dem iX ein Monolith der neuen Zeit als Technologie-Träger des Konzerns auf unseren Strassen. Das versprochene komplett autonome Fahren ist beim iX zwar doch noch nicht an Bord, dafür aber der in der Studie iNext angedrohte Nierengrill in XXL-Ausführung, der den allgemein geltenden Geschmack auf eine harte Probe stellt. In Shanghai, Moskau und im Silicon Valley werden sie BMWs Extravaganz hingegen als avantgardistisch einstufen.
Losgelöst von der Optik ist BMWs erster komplett als E-Auto konstruierter SUV ein Meilenstein für die Münchner. Ein Werk von Vollblut-Ingenieuren, das uns fasziniert und in einigen Bereichen intellektuell schlichtweg überfordert. Lang wie der X5 und flach wie ein X6, läuft das neue E-Flaggschiff in Dingolfing parallel zum Siebner vom Band. Es wird ab Herbst zwei Versionen geben, den iX xDrive 40 ab 98 700 Franken und den von uns gefahrenen iX xDrive 50 ab 115 900 Franken. Im Januar 2022 kommt dann noch der iX M60 dazu.
Kein Mangel an Reichweite
Im Werk Dingolfing implantieren sie dem iX auch den vollständig im Haus konstruierten Batterieträger samt Nebenorganen, der mal eben 630 Kilogramm wiegt. Das ganze Antriebssystem ist modular, kann also auch in anderen Modellen eingebaut werden.
Obwohl mit CFK, Thermoplast-Kunststoffen und Aluteilen an Fahrwerk und Karosserie signifikant Gewicht eingespart wurde, schwingt das luxuriös ausgestattete Raumschiff insgesamt noch fast 2,6 Tonnen auf die Waage. Ja, die Zukunft wird nicht leicht.
Der Hochvolt-Akku des iX xDrive 50 hat eine Kapazität von 111,5 kWh und soll für bis zu 630 Kilometer Reichweite gut sein. Geladen wird mit bis zu 200 kW. Vorne (190 kW/258 PS) und hinten (230 kW/313 PS) verbaut BMW je einen E-Motor, die Systemleistung beträgt 385 kW/523 PS.
Das Besondere: Das magnetische Feld der Synchronmotoren wird elektrisch erzeugt. Dadurch kommen sie ohne Permanentmagneten aus und auch ohne seltene Erden, was die Umweltbilanz verbessern soll.
Ein Konglomerat von elektronischen Steuergeräten regelt den Kraftfluss zwischen den beiden E-Maschinen. Die sogenannte aktornahe Radschlupfbegrenzung optimiert dabei die Traktion in dynamischen Situationen. Vom reinen Hinterradantrieb zum hellwachen Allradler wechselt der Kraftfluss in Millisekunden. Für Fahrstabilität und Komfort sorgt ein adaptives Fahrwerk mit Luftfederung und individuell geregelten Stossdämpfern.
Luxus und Hightech
Komplett modern sind natürlich auch die Systeme eine Etage höher, im Cockpit. Die neueste Generation des iDrive kommt auf Wunsch mit Controller im Swarovski-Crystal-Look, rund 50 Prozent der Knöpfe hat BMW wegrationalisiert und ihre Funktionen in das digitale Bediensystem integriert. Es lässt sich Over-the-Air aktualisieren und wird dank eingebauter eSIM-Technologie zum Smart Device, also zu einem weiteren vernetzten Endgerät wie ein Tablet. Zudem beherrscht es bereits den Mobilfunkstandard 5G.
Ganz wichtig: Das System ist lernfähig, passt sich an die individuellen Gewohnheiten an und erübrigt so viele Eingabeschritte. Super hilfreich ist der neue schwebende Wegweiser im Navi-System, animiert per Augmented Reality, kreativ die Innenraumkamera, die beim Lächeln auslöst und Schnappschüsse von dir versendet, und ein echter Genuss die exzellente Musikanlage mit ihrer Konzertsaal-Qualität.
Fahren kann dieser Computer auf Rädern natürlich auch. Und zwar ziemlich gut. 630 PS und ein Drehmoment von 765 Newtonmeter werfen den iX xDrive 50 in 4,6 Sekunden auf Tempo 100. Kraftentfaltung und Temperament sind für so ein grosses Raumschiff raketengleich, die Strassenlage souverän, und wer im Sportmodus die richtige Einstellung findet, kann in Kurven durchaus dynamisch und präzise nach BMW-Art lenken.
Das hohe Gewicht ist hinterm Steuer stets präsent. Mit der Sitzposition fremdelt man ein wenig, man sitzt eher auf Sesseln als im Auto. Und der digital generierte Motorsound, komponiert von Oscarpreisträger Hans Zimmer, spielt eine Melodie, die noch reichlich nach Zukunftsmusik klingt. Wir werden uns dran gewöhnen. Vielleicht sogar auch an die grosse Niere. Tomas Hirschberger