Lebenslanges Lernen ist ein wichtiges Thema in unserer Gesellschaft – gilt das auch für den Chef oder die Chefin?Für Vorgesetzte gilt das noch mehr, sie sind ja Vorbilder. Wenn man es nicht vorlebt, kann man schlecht erwarten, dass es das Teammacht. Vorgesetzte sollten neugierig sein für Neues. Wenn man das bleiben will, kommt man nicht darum herum, sich lebenslang zu entwickeln, was der Inbegriff von lebenslangem Lernen ist. Wer als Leader denkt, er oder sie wisse schon alles, ist schlecht beraten und auch keine gute Führungskraft.Woran erkennt man gute Führungspersönlichkeiten?Vor einigen Jahren hätte ich noch gesagt, man weiss, was man macht, zeigt den Leuten, wo es langgeht. Kommunikation, Empathie und Mut sind drei ganz wichtige Aspekte, die eine gute Führungspersönlichkeit ausmachen. Man muss Menschen gern haben und man darf nicht davon ausgehen, dass man als Führungskraft alles weiss. Idealerweise sind im Team Spezialisten, die vielmehr wissen als man selbst. Dafür müssen Leader heute die Menschen mitnehmen und ein inklusives Umfeld schaffen, in dem die Mitarbeitenden sich sicher fühlen und über sich hinauswachsen können. All das braucht Mut, denn dabei kann es auch zu Konflikten und Diskussionen kommen, die mit der nötigen Empathie sowie einer offenen Kommunikation zielführend gelöst werden. Das ist heute der Inbegriff einer guten Führungskraft.
«Der erste Schritt ist die Selbsterkenntnis.»
Patricia Widmer
Man hört oft von Führungskräften, die zwar stark in ihrem Fachgebiet sind, aber in Sachen Personalführung grosse Defizite aufweisen– woran liegt das?
Es kommt immer sehr auf das Unternehmen, auf die Industrie, auf die Kultur der Organisationen an. Es ist leider schon so, dass in eher konservativen Umfeldern oft die beste Fachkraft am Schluss Führungskraft wird. Das klassische Beispiel ist der beste Chirurg oder die beste Chirurgin, die Koryphäe, die zum Spitalleiter oder zur Spitalleiterin erkoren wird. Das ist nicht sehr sinnvoll, weil sich die Person ausgezeichnet hat durch hohes Fachwissen und nicht durch Führungsfähigkeiten. Heutzutage muss man mehr darauf hinarbeiten, dass man zwischen den besten Führungskräften und den besten Fachkräften ein Tandem hat. Und das ist natürlich immer mit Aufwand verbunden. Es gibt immer Schnittstellen. Gewisse Organisationen wollen sich dem Aufwand nicht stellen und gehen von der alten Denkweise aus, dass die beste Fachkraft auch die beste Führungskraft ist. Das ist sehr gefährlich. Es gibt Beispiele von Organisationen, die nicht gut geführt wurden, in denen Fehler passiert sind, die gute Leute verloren haben aus diesen Gründen.
Wie kann man vorbeugen?
Der erste Schritt ist die Selbsterkenntnis. Eine Organisation muss erkennen, dass sie etwas ändern muss. Solange sie das nicht erkennt, ist der Leidensdruck nicht gross genug. Aber selbstverständlich ist der Wettbewerb riesig, viele Firmen können sich das heute gar nicht mehr leisten, nicht zu realisieren, dass sie etwas ändern müssen. Insbesondere die ganze Thematik des menschlichen Aspekts lässt sich nur umsetzen, wenn auch in diese Richtung geführt wird. Als Executive School der Universität St. Gallen haben wir eine gewisse Verantwortung, indem wir die Führungskräfte, die zu uns in die Weiterbildung kommen, auch entsprechend schulen, ihnen diese Toolsmitgeben bezüglich Persönlichkeitsentwicklung. Es geht nicht nur darum, was eine gute Strategie oder gute Finanzzahlen sind, sondern dass sie auch stark an sich selbst arbeiten, an ihrer Resilienz, an ihrer Fähigkeit, Menschen zu coachen und mitzunehmen. Dort können wir gut ansetzen, und das wird dann in die Organisation getragen. Das ist ein wichtiger Schritt.
Führen Frauen anders als Männer und wenn ja, inwiefern?
Es gibt viele Studien, die zum Schluss kommen, dass ein Unterschied besteht. Es gibt aber auch viele Studien, die sagen, das ist gefährlich, weil man dadurch die Geschlechtsstereotypen noch viel stärker zementiert, also was ist weiblich, was männlich. Ich glaube, wir sind alle anders. Aber nicht nur Frauen und Männer, sondern auch innerhalb von der Gruppe der Frauen respektive der Männer gibt es sehr viele Unterschiede. Darum bin ich kein grosser Fan von Generalisierungen, vielleicht gibt es gewisse Ausprägungen. Es gibt Studien, die besagen, Frauen würden eher transformativ führen, also mit Visionen zu gemeinsamen Werten, Männer dagegen eher transaktional, zum Beispiel mit Zielvereinbarungen. In der Praxis findet man auch das Umgekehrte. Egal ob Frau oder Mann, für alle gilt, sie brauchen die anfangs genannten wichtigen Führungskompetenzen.
Wie profitieren Unternehmen von einer guten Führungsperson?
Ein Leader darf auch Schwäche zeigen und sagen: «Das weiss ich nicht.»Manchmal ist es sehr gut, wenn ein Leader nicht immer alles kann und immer wie eine Maschine funktioniert. Sie sind ja auch Menschen. Man weiss aus Studien, dass inklusive Teams, in denen sich alle zugehörig fühlen, also unterschiedliche Perspektiven, Backgrounds, Geschlechter und Altersstrukturen vorhanden sind, bessere Leistungen erbringen, bessere Entscheidungen fällen und ihre Innovationskraft ist grösser. Wenn ein Leader das realisiert und empathisch führen kann, dann profitiert die Organisation unweigerlich.
Leadership-Ausbildungen boomen – für welche Teilnehmenden macht solch ein Lehrgang Sinn und was kann man für den Berufsalltag mitnehmen?
Boomen tun sie, weil die Führungskraft von heute in einem komplexen Umfeld bestehen und gleichzeitig eine starke Menschlichkeit an den Tag legen muss, um als Coach die Mitarbeitenden mitnehmen zu können. Das ist zum Teil ein Riesenspagat, bei dem auch Führungskräfte aufpassen müssen, dass sie nicht ausbrennen. Es gibt verschiedene Kurse mit unterschiedlichen Levels für Leader in der unteren und mittleren Managementebene, die vielleicht das erste Mal ein Team führen oder schon die erste Beförderung hinter sich haben und weiterkommen wollen, aber auch für erfahrene Leader bis hin auf Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsebene. Es wäre falsch, alle in den gleichen Topf zu werfen, denn sie haben unterschiedliche Themen. Wenn wir bei den Zielgruppen bleiben, zählt nicht nur, welches Level bringen sie mit, sondern auch welchen Background und wo muss wer noch individueller gefördert werden. Dank der starken Modularisierung in den Weiterbildungsprogrammen kann man sehr gut individuell auf die Teilnehmenden eingehen. Wir haben an der HSG auch ein Women’s-Leadership-Programm. Dabei geht es nicht um unterschiedliches Führen von Mann und Frau, sondern mehr um unterschiedliche Themen, die sich in reinen Frauengruppen ergeben. Es lohnt sich immer, genau auf die Zielgruppe zu achten, denn letztlich geht es darum, dass die Teilnehmenden viel für sich mitnehmen. Nebst individuellen Persönlichkeitskompetenzen ist das auch ein reiches Netzwerk. Suzana Cubranovic
Person
Dr. Patricia Widmer ist seit Oktober 2014 an der Universität St. Gallenals Programme Director for Diversity and Management Programmes tätig, wo sie unter anderem den englischsprachigen Studiengang «Women’s Leadership Programme» aufgebaut hat. Zuvor hat sie in leitenden Positionen bei verschiedenen Organisationen gearbeitet. (scu)
www.unisg.ch
Auf einen Blick: Fünf Führungstipps vom Profi
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Tipp #1: Eine gute Führungskraft braucht Mut. Dabei gilt es, den eigenen Werten bewusst sein sowie Vertrauen vorzuleben und zu fördern.
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Tipp #2: Fokus auf die Vision und den Purpose! Einen Leuchtturm sowie das Warum stets vor Augen haben und den Teammitgliedern auch vermitteln.
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Tipp #3: Gut zuhören ist etwas vom Wichtigsten für eine Führungsperson. Nur so kann ein sicheres Umfeld geschaffen werden, wo sich alle Teammitglieder einbringen können.
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Tipp #4: Sich selbst Sorge tragen. Führen ist ein sehr anspruchsvoller Job, der ein ausgewogenes Leben voraussetzt. Das heisst, es gibt nicht nur die Arbeit, sondern auch ein soziales Leben und sich selbst.
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Tipp #5: Ein guter Coach sein. Das kann nur, wer Menschen mag. Wer das tut, wird zu einem Ermöglicher, der seine Teammitglieder befähigt, über sich selbst hinauszuwachsen. (scu)