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Die Energiequelle des Universums

Die Energiequelle des Universums

Im TVC Tokamak wird das Verhalten des ultraheissen Plasmas erforscht. Bild: Alain Herzog

Die Sonne: Eine 4,6 Milliarden Jahre alte, unvorstellbar heisse Gaskugel. Und: eine gigantische Energiequelle, die Licht und Wärme ins Weltall abstrahlt. Damit gilt die Sonne als grosser Hoffnungsträger zur Lösung des weltweiten Energieproblems. Nicht nur in Form von Solarenergie, sondern auch im Rahmen der Kernfusion.Einsteins Masse-Energie-ÄquivalenzformelDer Erforschung genau dieser Kernfusion widmen sich Christian Theiler, Physiker und Assistenzprofessor am Swiss Plasma Center in Lausanne, und seine Kollegen. Zentraler Bestandteil dieser Forschung ist der Tokamak, ein rund fünf Meter grosser, mit unzähligen Messstationen verkabelter Stahlkoloss. «Hier an der EPFL steht der TCV Tokamak, eines der zentralen Experimente der europäischen Fusionsforschung», so der Physiker. In dessen Innern werden die Prozesse der Sonne nachgeahmt. «Der Vorgang im Tokamak ist jener auf der Sonne ähnlich, es gibt aber wichtige Unterschiede.» In der Sonne fusionieren Wasserstoffkerne unter enormem Druck, rund 200 Milliarden bar, und unter hohen Temperaturen, um die 15 Millionen Grad, zu Helium und setzen dabei gigantische Mengen Energie frei. «Innerhalb eines Reaktors heizen wir Wasserstoff sogar auf 100 Millionen Grad auf. Dies versetzt die Materie in den vierten Aggregatszustand, das sogenannte Plasma, und die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium verschmelzen zu Helium», erklärt Christian Theiler. «Anders als durch die Schwerkraft in der Sonne wird dabei das Fusionsplasma mittels eines mehrere Tesla starken Magnetfeldes unter Kontrolle gehalten und in eine bestimmte Form gebracht.» Würde es die Wände berühren, würden zum einen die Reaktorwände schmelzen, zum andern das Plasma sofort auskühlen und die Reaktion würde zum Erliegen kommen. Eine Reaktion, die Einsteins Masse-Energie-Äquivalenzformel folgt. Heisst konkret: Ist die Masse der bei der Fusion entstandenen Teilchen geringer als die Masse der Ausgangskerne, wird die Differenz als Energie freigesetzt. Im Tokamak-Reaktor in Form von Wärme, die zur Stromerzeugung genutzt werden kann.

Am Swiss Plasma Center an der EPFL in Lausanne wird Fusionsforschung betrieben. Ziel ist es, die Aktivität der Sonne auf die Erde zu holen, um damit eine schier unerschöpfliche Energiequelle anzuzapfen.

«Heute wissen wir relativ genau, was es zur positiven Energiebilanz braucht.»

Christian Theiler
Physiker und Assistenzprofessor
Swiss Plasma Center

Gebändigtes Plasma

Dem turbulenten Fusionsplasma widmen sich am Swiss Plasma Center rund 150 Mitarbeiter, darunter Physiker, Ingenieure und Techniker. An vier Tagen die Woche wird der Reaktor alle 15 Minuten angeworfen und das Verhalten des Plasmas – Temperatur, Dichte, Form, Heizleistung, Wärmeströme etc. – mittels detailliertester Messstationen untersucht. «Heute verstehen wir die komplexen, turbulenten Prozesse, die im Innern und an den Randregionen des Plasmas ablaufen, ziemlich gut.» Besonderen Fokus legt das Schweizer Forscherteam darauf, welche vom Magnetfeld herbeigeführte Plasmaform die besten Resultate liefert. Denn: «Noch sind wir nicht in der positiven Energiebilanz angelangt.» Die Energie, die aufgewendet werden müsse, um die Reaktion zu starten und am Laufen zu halten, übersteige nach wie vor die Energiegewinnung. «Allerdings konnten wir die Effizienz seit dem Beginn der Fusionsforschung in den 60er-Jahren bereits um das Millionenfache steigern und heute wissen wir relativ genau, was es zur positiven Energiebilanz braucht», fügt der Fusionsforscher an.

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Ein Mitarbeiter des Tokamaks justiert einen Temperatursensor an der EPFL in Lausanne. Bild: keystone

Dies möchte man in naher Zukunft im ITER-Reaktor, dem ersten grosstechnischen Fusionsreaktor, der basierend auf dem Tokamak-Prinzip seit 2010 in Südfrankreich gebaut wird, beweisen. Eines der grössten wissenschaftlichen Forschungsprojekte der Menschheit: Daran beteiligt sind mit einem Gesamtbudget von 20 Milliarden Euro rund 35 Nationen. Allein die Maschinerie des Tokamaks besteht aus mehr als einer Million Teile. Manche in der Höhe eines sechsstöckigen Gebäudes, andere haben die Masse einer voll beladenen Boeing 747. «Eine der grossen Herausforderungen wird es sein, sicherzustellen, dass das superheisse Plasma zu keinem Zeitpunkt die umliegenden Wände beschädigt. Dazu gibt es einige offene Fragen, die wir hier in Lausanne intensiv untersuchen.» Weiter müsse gezeigt werden, dass genügend Tritium direkt im Reaktor aus Lithium gewonnen werden könne, um eine stabile Fusionsleistung über einen gewissen Zeitraum zu gewährleisten.

Die Grösse des Forschungsprojekts zeigt: Auch die Hoffnungen sind gross. Denn sobald die Kernfusion auf der Erde im grossen Massstab funktioniert, wird die Menschheit Zugang zu einer schier unermesslichen, sauberen Energiequelle haben. «Ein Vorteil der Kernfusion ist, dass sie zu jeder Zeit einfach gestoppt werden kann. Sie setzt kein CO2 frei und es entstehen dabei auch keine langzeitlichen radioaktiven Abfälle.» Zudem sei der Brennstoff Deuterium und Lithium auf der Erde relativ gleichmässig verteilt und könne unseren Energiebedarf für Zehntausende von Jahren decken.

Horizont 2060

Das Kernfusionsprojekt wird gerne mit dem Bau einer Kathedrale verglichen. Diejenigen, die das Fundament für die Fusionsforschung gelegt haben, werden die Fertigstellung der ersten Kraftwerke nicht mehr erleben. Die ersten Plasmas im ITER werden für 2025 erwartet und die Europäische Roadmap zur Entwicklung der Kernfusion rechnet mit 2050 bis 2060 für den ersten kommerziellen Reaktor. Zu spät? Christian Theiler: «Es ist klar, dass wir so schnell wie möglich handeln müssen, um den CO2-Ausstoss zu senken. Die Lösung wird ein Mix verschiedener Technologien sein, zu welchem die Fusion langfristig einen wichtigen Beitrag wird liefern können – und wohl auch wird liefern müssen.» Ganz nach dem Motto: Viele Wege führen nach Rom, müssen viele Lösungsansätze verfolgt werden, um die Energiewende zu schaffen. Deswegen forscht Christian Theiler weiter – in kleineren Zeithorizonten und erst einmal auf dem Weg nach Südfrankreich. Lea Marti