General Motors (GM) hat über 25 Jahre Erfahrung in der Elektromobilität. Bereits 1996 lancierten die Amerikaner mit dem EV1 ihr erstes elektrisch angetriebenes Serienmodell. Dieses hatte eher einen experimentellen Charakter und war der Zeit voraus – drei Jahre später wurde die Produktion eingestellt. Tesla-Gründer Elon Musk bezeichnete den EV1 gar als «Versuch der Autohersteller, die Elektromobilität zu töten». 2010 unternahm GM mit dem Chevrolet Volt einen neuen Anlauf. Das Auto mit E-Antrieb und einem Verbrennungsmotor als Reichweitenverlängerer, das bei uns als Opel Ampera verkauft wurde, traf aber ebenfalls auf wenig Gegenliebe. Nur 101 Ampera-e verkauft 2016 schliesslich wurde der rein elektrisch angetriebene Chevrolet Bolt lanciert, der bei uns Opel Ampera-e heisst – dieses Modell wurde an der Detroit Motor Show 2017 von GM noch als Basis für weitere Elektrofahrzeuge von GM angepriesen und wird weiterhin verkauft, in Europa allerdings nur noch in Norwegen, den Niederlanden und der Schweiz. Und das mit wenig Erfolg: 2019 wurden bei uns gerade mal 101 Exemplare des Ampera-e verkauft, in diesem Jahr waren es bis Ende Juli nur noch zehn Exemplare.
Weltpremiere im Internet – mit dem Lyriq stellt Cadillac einen vollelektrischen Crossover vor, der auf einer neu entwickelten modularen Plattform für Elektrofahrzeuge des GM-Konzerns basiert. Allerdings: Marktstart ist frühestens 2022.
Und die heutige Zeit ist schnelllebig, ganz besonders im aus den Fugen geratenen Automobilbusiness – was vor drei Jahren noch nach verheissungsvoller Zukunft aussah, ist heute bereits veraltet. Das machte GM letztes Jahr klar, als der drittgrösste Autohersteller der Welt eine neue modulare Plattform vorstellte, auf der Elektroautos quer durch alle Marken und Segmente aufgebaut werden können. «Unser Team hat sich der Herausforderung gestellt, einen Wandel der Produktentwicklung bei GM zu vollziehen und unser Unternehmen für eine vollelektrische Zukunft zu positionieren », sagte GM-Chefin Mary Barra damals. «Wir haben dazu bei E-Fahrzeugen eine Mehrmarken- und Multisegmentstrategie mit Skaleneffekten aufgebaut.» GM ist damit aktuell der einzige Autohersteller, der der MEB-Plattform des Volkswagen-Konzerns etwas entgegenhalten kann.
Nun wurde mit dem Cadillac Lyriq das erste Produkt aus diesem Baukasten vorgestellt – ein vollelektrischer Crossover in einer neuen Design-Sprache, der für den GM-Luxusbrand den Auftakt zur elektronischen Ära darstellen soll. «Angefangen mit dem Lyriq, wird Cadillac in den nächsten zehn Jahren amerikanischen Luxus mit einem Portfolio bahnbrechender Elektrofahrzeuge neu definieren», kündigte GM-Vizepräsident Steve Carlisle bei der nur im Internet stattfindenden Weltpremiere an. «Wir werden Fahrerlebnisse bieten, die die Sinne ansprechen, Wünsche antizipieren und unseren Kunden ermöglichen, aussergewöhnliche Reisen zu unternehmen.»
Dazu gehört natürlich auch ein luxuriöser Innenraum aus Leder, Holz und Chrom und ein topmodernes Cockpit: Cadillac verbaut ein riesiges Display quer über den Sichtbereich des Fahrers und kündigt die höchste Pixeldichte in der Automobilindustrie und über eine Milliarde Farben an.
Reichweite bis 480 Kilometer
Ein Head-up-Display blendet die wichtigsten Informationen in Augmented Reality quasi direkt auf die Strasse. Die Passagiere im Fond werden mit Screens an den Lehnen der Vordersitze über 19 Lautsprecher unterhalten. Die neue modulare Plattform ermöglicht es, Batteriemodule mit einer Kapazität von 50 bis 200 kWh zu verbauen, je nach Grösse und Preissegment des Fahrzeugs. Beim Cadillac Lyriq hat sich GM für einen Akku mit 100 kWh Kapazität entschieden – allerdings bezeichnet der Hersteller den vorgestellten SUV noch als Show Car, Änderungen sind also vorbehalten. Verwendet werden die von GM zusammen mit LG Chem entwickelten Ultium-Batterien, die mit deutlich weniger Kobalt funktionieren sollen. Damit schafft der Lyriq gemäss internen Tests eine Reichweite bis 480 Kilometer, geladen wird mit maximal 150 kW – damit ist der Cadillac gut aufgestellt im Konkurrenzumfeld. Es wird den Lyriq definitiv mit Heck- oder mit Allradantrieb geben, genaue Leistungsdaten wurden noch nicht kommuniziert, gemunkelt wird von bis zu 450 PS. Ursprünglich hatte Cadillac geplant, den Lyriq im April vorzustellen und ihn ab nächstem Jahr in den USA vom Band rollen zu lassen – dass das nun präsentierte Modell noch als Show Car bezeichnet wird, weist auf eine Verzögerung für den Start der Serienversion hin. GM macht dazu noch keine detaillierten Angaben, klar ist aber: 2022 soll der vollelektrische SUV in den USA auf den Markt kommen und später auch in Europa. Wann der Lyriq den Sprung über den grossen Teich schafft, ist noch offen. Angst vor dem neuen Herausforderer braucht Elon Musk also (noch) nicht zu haben. Denn wenn Cadillac den Lyriq 2022 definitiv auf die Strasse rollt, wird Tesla das Model S bereits seit zehn Jahren in Serie produzieren. In Deutschland hat man so was einst «Vorsprung durch Technik» genannt. Dave Schneider
Das neue Herz von GM
Die Batteriezelle Ultium, die sich wie Legosteine nach Belieben anordnen lässt, bildet das Herz der Elektrifizierungsstrategie von GM. Entwickelt und gebaut werden die Batterien im Joint Venture mit LG Chem in einem neuen Werk in den USA. Geschätzter Kostenpunkt der Kooperation: rund 2,3 Milliarden US-Dollar. Platziert werden die Batterien in der ebenfalls neuen Elektroauto-Plattform, die zukünftig allen Marken des GM-Konzerns weltweit als Fahrzeuggrundlage dienen soll. Der Clou: Für alle geplanten Elektroautos benötigt GM nur noch 19 verschiedene Kombinationen von Elektromotoren und Batterien, anstelle von bisher über 550 verschiedenen Kombinationen von Verbrennungsmotoren und Antriebseinheiten. Zudem will GM bei der Entwicklung von E- und Brennstoffzellenautos vermehrt auf die bereits intensive Kooperation mit Honda setzen. Noch dieses Jahr soll der rund 1000 PS starke GMC Hummer EV als Pick-up auf den Markt kommen. (tbo)