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So klingt die Zukunft

Gerichteter Schall könnte Zukunft sein

So klingt die Zukunft

Mercedes Technologie Center in Sindelfingen: Hier wird für jedes Elektromodell ein individuell abgestimmter E-Sound entwickelt. Bilder: Daimler

Einer der Vorteile von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen ist die fast geräuschlose Fortbewegung. Stille ist Luxus – je ruhiger ein Auto fährt, desto hochwertiger ist das Fahrgefühl. Doch das bringt auch Nachteile mit sich: Wenn vom Motor nichts zu hören ist, fallen die lauten Abroll-, Fahrwerks- und Windgeräusche umso stärker auf.Auch werden flüsterleise Autos kaum von der Umwelt wahrgenommen – nicht nur für sehbehinderte Menschen, Kinder oder Tiere ist das gefährlich, sondern für alle. Ausserdem verlieren die Automarken dadurch ihren typischen Sound, was für viele Hersteller einem Image-Verlust gleichkommt.Die Autoindustrie hat auf diese Umstände reagiert. Seit dem 1. Juli 2019 müssen in der EU und in der Schweiz alle Hybrid- und Elektrofahrzeuge mit einem künstlichen Fahrgeräusch ausgestattet sein, das als Schutz für die Fussgänger im Tempobereich zwischen 0 und 20 Kilometer pro Stunde aktiv sein muss. Fährt ein Auto schneller, sorgen die Abrollgeräusche für eine genügend laute Geräuschkulisse.Dieses künstlich erzeugte Fahrgeräusch muss aber nicht einfach ein schnöder Ton sein: Manche Hersteller nutzen diesen neugeschaffenen Bereich, um ein eigenes, charakteristisches Fahrgeräusch zu entwickeln.

Elektroautos müssen aus Sicherheitsgründen ein künstlich erzeugtes Geräusch von sich geben. Das ist Musik in den Ohren der Hersteller.

Der Sound muss technisch sein

«Der nahezu geräuschlose elektrische Antrieb bietet grosses Potenzial für ein markenspezifisches Sounddesign, das nicht nur auf das Auto, sondern auch auf die Marke aufmerksam macht», bestätigt Frank Welsch, Entwicklungsvorstand von Volkswagen. Der grösste Autohersteller der Welt hat den neuen Fahrsound der Marke in Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Musikproduzenten Leslie Mandoki komponiert. «Der Sound sollte souverän und sympathisch sein», sagt Frank Welsch. «Er darf gerne futuristisch klingen und muss darüber hinaus durch seine Einzigartigkeit überzeugen.»

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E-Mobile von Mercedes sind mit Soundgeneratoren ausgestattet.

Wie ein solches Fahrgeräusch zu tönen hat, ist nirgends vorgeschrieben. In einem sind sich die Sounddesigner aber einig: Beim Beschleunigen wird der Ton höher, beim Bremsen wird tiefer – das wurde von der Klangkulisse eines herkömmlichen Autos übernommen. Ansonsten aber ist so ziemlich alles erlaubt, solange das Fahrgeräusch nicht lauter als das eines vergleichbaren Modells mit Verbrennungsmotor ist.

Für Hugo Fastl, Professor am Lehrstuhl für Mensch-Maschine- Kommunikation an der Technischen Universität München (TUM), ist klar: «Grundsätzlich sollen diese Fahrtöne im mittleren Frequenzbereich sein, da zu hohe Frequenzen von älteren Menschen nicht mehr wahrgenommen werden.» Sehr tiefe Frequenzen seien hingegen schwierig abzustrahlen: «Dafür müssten die Lautsprecher am Auto sehr gross sein».

Rudolf Halbmeir, der bei Audi die Töne modelliert, ergänzt: «Das Geräusch muss technisch sein. Technische Geräusche gehen besser ins Unterbewusstsein. » Nur so würden die Fussgänger ein Auto in ihrer Nähe «spüren».

Inspiriert von Science-Fiction-Filmen

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Der Kunstkopf zeichnet bei Tests auch feinste Geräusche auf.

Bereits auf dem Markt erhältliche Elektroautos zeigen: Die Soundentwickler lassen sich gerne von Science-Fiction-Filmen inspirieren – denn genau so, wie man sich das aus klassischen Blockbustern gewohnt ist, klingen viele der aktuellen E-Autos auch. «Wir holen uns die Inspiration tatsächlich von Science-Fiction-Filmen», bestätigt Stephan Gsell von Audi. «Aber auch von Autos mit Verbrennungsmotoren, von Instrumenten und von etlichen Geräuschen in der Umwelt.» Aus diesen Ingredienzien wird ein Klanggefüge komponiert, das in aufwendigen Sound-Labors wieder und wieder durchgetestet wird.

Einen Schritt weiter geht Fiat beim neuen 500e: Der elektrisch angetriebene Winzling macht zwar ebenfalls ein futuristisches Raumschiffgeräusch, darin ist aber eine Walzermelodie eingebettet – so macht der Elektrozwerg auch akustisch auf sich aufmerksam.

Das Fahrgeräusch ist aber nicht nur nach aussen, sondern auch nach innen wichtig. Die ungefilterten Abroll-, Fahrwerksund Windgeräusche sind eine Lärmkulisse, die keine Marke den Kunden zumuten will – deshalb komponieren manche Hersteller auch für den Innenraum ein eigenen Sound.

Gerade für Hochpreismarken ist das ein neues Geschäftssegment, in dem man sich von der Konkurrenz abheben kann. BMW etwa hat für die Komposition des Fahrgeräuschs ihrer zukünftigen Elektromodelle keinen geringeren als den elfmaligen Oscar-Preisträger Hans Zimmer engagiert.

«Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, Emotionen für die elektrische Fahrfreude gestalten zu dürfen», sagt der deutsche Komponist weltberühmter Filmmusik, der zusammen mit BMW-Sounddesigner Renzo Vitale bereits das Fahrgeräusch verschiedener Studien komponiert hat. «Wir können den Sound der Zukunft erschaffen. Das ist grossartig », sagt Vitale. Dave Schneider
  

Gerichteter Schall könnte Zukunft sein

Wie wird es in Innenstädten tönen, wenn alle Autos elektrisch fahren und jedes mit einem künstlich erzeugten Fahrgeräusch unterwegs ist? Natürlich ist es erstrebenswert, dass der Strassenverkehr möglichst keinen Lärm verursacht. Um dabei nicht die Fussgänger und insbesondere sehbehinderte Menschen stärker zu gefährden, ist gerichteter Schall ein Lösungsansatz. Moderne Assistenzsysteme erkennen Fussgänger, bremsen automatisch oder können Passanten mit einem gerichteten Lichtstrahl beleuchten, damit sie der Fahrer besser erkennt. Ähnlich würden Systeme mit gerichtetem Schall funktionieren: Das Auto richtet das entsprechende Warngeräusch nur direkt auf die relevanten Personen, anstatt die ganze Umgebung mit einem konstanten Geräusch zu beschallen. Wann solche Systeme auf den Markt kommen könnten, ist noch ungewiss. (ds)