Zieht Claudia Merfert mit dem Staubsauger durch die Ausstellungsräume, peilt sie keineswegs schnöde Büros an. Stattdessen beginnt sie, vorsichtig die Kleidungsstücke in der Ausstellung damit abzutupfen. «Ich benutze einen speziellen Bürstenaufsatz, ähnlich denen von daheim, nur sehr viel kleiner», erzählt sie. «Damit halte ich unsere Exponate staubfrei.» Denn Staub bedeutet immer auch Keime oder Sporen und die könnten wertvollen und einzigartigen Stücken auf Dauer Probleme bereiten. Merfert ist seit 2019 im Textilmuseum St.Gallen für den Unterhalt aller Museumsstücke verantwortlich.
Genäht wird wie in der Chirurgie
Der Staubsauger gehört zum kleinen Teil an Handwerkszeug, das die Besuchenden auch von zu Hause kennen. Bei anderen Dingen muss man oft nachschlagen, worum es sich handelt. Repariert sie einen Riss, näht sie mit haarfeiner Haspelseide. Ihre Nähnadeln stammen aus dem Operationsbedarf. Muss sie etwas waschen, geschieht das als Handwäsche. Klingt vertraut, doch auch hier wäscht die Expertin etwas anders. «Textilien kommen in flache Wannen, sodass sie möglichst wenig geknickt werden», erzählt sie. «Viele Flecken behandle ich aber nur punktuell. Muss ich etwas nass machen, feuchte ich die Stellen bloss mit einer Pipette an.» Wer Bügeln nicht mag, dürfte Claudia Merfert beneiden: Das kommt für Museumsstücke nämlich nicht infrage. Sie nutzt für Falten einen Ultraschallbefeuchter.
Claudia Merferts Beruf heisst «Textilkonservatorin und -restauratorin» und umfasst ein mehrjähriges Studium, bei dem sich die Studierenden unter anderem auf Gemälde, Möbel oder eben Textilien spezialisieren. Dazu gehört viel Physik und Chemie: «So lernen wir die Grundlagen für verschiedene Alterungsprozesse, wie Verfärbungen oder Faserbruch», erklärt Merfert. Dieses Wissen verschafft ihr die Möglichkeit, sinnvolle Lösungen für eine Behandlung zu finden. «Man muss jedes Objekt individuell beurteilen», sagt sie. Innerhalb der Branche arbeiten die Experten daher vernetzt und tauschen sich aus. «In Musterbücher wurde früher vieles eingeklebt. Klebstoffe sind Substanzen, zu deren Eigenschaften ich mich umhöre, bevor ich damit arbeite», nennt Merfert ein Beispiel.
Auf schwierige Materialien angesprochen, überrascht die Restauratorin: «Mit mehr als 1000 Jahre alten Textilien habe ich oft weniger Probleme als mit modernen», sagt sie. «Synthetische Materialien altern schneller. Aber man weiss noch nicht, wie sie sich auf Dauer verhalten.» Schon jetzt kleben Schichten aneinander, wenn sich die Weichmacher aus dem Gewebe lösen. Eine Herausforderung für die Zukunft. Auch Seiden aus dem 19. Jahrhundert haben ihre Tücken. Damals nutzen die Hersteller bereits Zusatzbehandlungen, um sie rascheln zu lassen oder zu beschweren. «Dafür wurden zum Beispiel Metallsalze wie Zinnchlorid aufgetragen, die heute dafür sorgen, dass Seide schneller bricht und reisst.»
Viele Museumsstücke allerdings verbringen den grössten Teil ihres Museumslebens im Depot. Ein grosser Teil von Merferts Arbeit befasst sich daher mit der Lagerung. «Sobald ein Kleidungsstück zum Museumsbestand gehört, kann man es nicht mehr einfach in eine Plastiktüte falten.» Ab diesem Zeitpunkt erfüllt alles, was mit dem Textil in Berührung kommt, besondere Anforderungen. «Alles muss säurefrei und alterungsbeständig sein, damit die Textilien davon keinen Schaden nehmen.» Das reicht vom speziellen Verpackungsmaterial bis zu Figurinen, gepolsterten Kleiderbügeln oder Unterkonstruktionen, mit denen Gewebe in Ausstellungen präsentiert werden. Auch gefaltet wird nicht mehr ohne weiteres, denn Falten werden mit zunehmendem Alter zu Sollbruchstellen im Gewebe.
Schöne Inszenierung für altes Gewebe
Wird ein Stück für eine Ausstellung gewählt, bereitet Merfert es vor. Selten sind kleinere Restaurierungen notwendig. Die Hauptarbeit geschieht zusammen mit Szenografen, die die Inszenierung der Gewebe planen. «Es gab schon mal die Idee, einige Kleider mit Windmaschinen zu bewegen», sagt Merfert. «Da ist viel Abstimmung gefragt, denn manch ein Stück erweist sich für solche Inszenierungen als zu fragil.»
Claudia Merfert haben es übrigens zwei Stücke im eigenen Haus besonders angetan. Das eine ist ein Tuch aus dem 17. Jahrhundert. «Es ist ein Sargtuch, das bei der Beerdigung über den Sarg gelegt wurde», sagt die Restauratorin. «Einfaches Leinen mit Stempeldruck, doch es birgt viel Geschichte.» Das andere besticht mit Detailreichtum und stammt aus einem jüngeren Ankauf. «Ich mag den Wandteppich der Textilkünstlerin Annina Arter jetzt schon, obwohl er noch nicht lange im Haus hängt», freut sie sich.
Hinter den Kulissen
Die Museumsseiten stellen in diesem Sommer Menschen vor, die den unterhaltsamen Museumsbesuch möglich machen.