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«Die Digitalisierung ist für die MEM-Branche nichts Neues»

  

«Die Digitalisierung ist für die MEM-Branche nichts Neues»

Michael Wilhelm Studiengangleiter BSC Systemtechnik, OST in Buchs. Bild: PD

Die Digitalisierung hat gerade in der MEM-Industrie grosse Auswirkungen auf Produktion und Personal. Michael Wilhelm ist Studiengangleiter des Bachelorstudiengangs Systemtechnik an der Ostschweizer Fachhochschule in Buchs. Er erklärt, wie sich die Digitalisierung auf die Branche auswirkt, wie sich Arbeitnehmende für die Zukunft rüsten können und warum es immer noch wenige Frauen in der MEM-Industrie gibt.Wie zeigt sich die zunehmende Digitalisierung in der Schweizer MEM-Industrie?Michael Wilhelm: Die Digitalisierung ist für die MEM-Branche nicht neu. Sie begann schon in den 1970er-Jahren mit den CNC-Maschinen und bald darauf den CAD-Systemen für die Konstruktion und den Programmiersystemen für die Maschinen in der Produktion. Digitalisierung wird heute aber stärker wahrgenommen, weil sie insbesondere im letzten Jahrzehnt ein von der Gesellschaft wahrnehmbares exponentielles Wachstum erfahren hat. Sie erfasst immer mehr Bereiche des Alltags und der Arbeit in Produktion und Organisation.    

Welche Chancen bietet die zunehmende Digitalisierung für die Ostschweizer MEM-Industrie?

Generell lässt sich sagen, dass die Ostschweizer MEM-Industrie technologisch in der Weltspitze ist. Die Digitalisierung ist ein entscheidender Faktor, um diesen Platz zu festigen und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Die MEM-Industrie in der Ostschweiz lebt von Innovation und Effizienz. Die Digitalisierung wird zu einem Erfolgsfaktor.

Welche Risiken sind damit verbunden?

Um die Herausforderungen der Digitalisierung meistern zu können, braucht es entsprechend ausgebildete Fachkräfte. Gelingt es den Unternehmen nicht, ihre Fachkräfte selbst auszubilden, müssen sie dieses Know-how extern holen. Für die Unternehmen ist das ein Risiko, weil das Fachwissen dann nicht mehr direkt im Unternehmen vorhanden ist und sie dadurch im Extremfall austauschbar werden.

Wie verändern sich die Anforderungen an die Arbeitnehmenden?

Allgemein ist zu beobachten, dass rein ausführende Arbeiten zunehmend verschwinden, weil sie von Maschinen übernommen oder in Länder mit tieferen Produktionskosten ausgelagert werden. Zudem zeigt sich, dass in der MEM-Industrie die ausführende Arbeit und die Organisation der Arbeit immer weiter verschmelzen. Die Mitarbeitenden planen die Abläufe und die Durchführung selbstständig und werden dabei von Softwaresystemen unterstützt. Diese Entwicklungen sind aber nicht neu und haben zu einer stetigen Anpassung der Anforderungen und Qualifikationen geführt. Weiterbildungen und lebenslanges Lernen werden in Zukunft aber sicher noch wichtiger werden. Die Zeiten, als man in einem Betrieb die Lehre machte und dann im gleichen Beruf auch dort pensioniert wurde, sind vorbei.

Welche Berufsbilder und Kompetenzen werden in Zukunft stärker nachgefragt?

Der Umgang mit grossen Datenmengen wird in Zukunft sicher wichtiger werden. Es stehen immer mehr Informationen zur Verfügung, die aufgrund höherer Rechenleistung sofort interpretiert und aufbereitet werden können. Das erlaubt es uns, die Maschinen immer intelligenter zu machen. Daneben gibt es aber auch übergeordnete Kompetenzen, die wichtiger werden. Dazu gehören vor allem selbstständiges Denken und ständiges Hinterfragen von Routinen. Mir persönlich ist auch eine produktive Fehlerkultur ein grosses Anliegen. Das versuche ich meinen Studierenden mitzugeben.

Wie wird in der Aus- und Weiterbildung auf diese neuen Anforderungen reagiert?

An der Fachhochschule Ostschweiz haben wir neue Weiterbildungskurse im Bereich Umgang mit der Digitalisierung auch für «Nichtinformatiker» geschaffen. Die Erfahrung zeigt, dass diese Angebote auf grosses Interesse stossen. Unser Weiterbildungskurs «Internet of Things und Industrie 4.0» beispielsweise ist Jahr für Jahr ausgebucht.

Von Arbeitnehmenden wird lebenslanges Lernen gefordert, was müssen die Unternehmen beitragen?

Ich rate den Unternehmen immer in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden zu investieren. Alles andere ist eine sehr kurzsichtige Haltung. Der überwiegende Teil der Unternehmen hat dies längst erkannt und unterstützt die Mitarbeitenden. Es liegt ja auch im Eigeninteresse der Unternehmen, weil es der beste Weg ist, sich gute Fachkräfte zu sichern. Attraktive Arbeitgeber sichern sich motivierte Mitarbeitende.

In technischen Berufen findet man noch immer wenig Frauen. Wie kann man mehr Frauen für technische Berufe begeistern?

Zum einen sollte man aufhören, Frauen in technischen Berufen oder Studiengängen als Ausnahmeerscheinungen darzustellen. Wir brauchen Frauen in der MEM-Branche und dies sollte selbstverständlich sein. Meiner Meinung nach fokussieren die technischen Berufe und Studiengänge immer noch zu sehr auf Technik als Selbstzweck. Wenn man den Nutzen der Technik, zum Beispiel in puncto Umweltschutz oder auch in sozialen Bereichen, wie der Pflege, mehr in den Vordergrund stellen würde, gäbe es wohl mehr Interessentinnen. Das gilt bestimmt nicht nur für Frauen, sondern allgemein für die Generation unserer Zukunft. (pab)