Karin Kusters letzte Neuorientierung ist 28 Jahre her. Die heute 59-Jährige konzentrierte sich damals ganz auf ihre Mutterrolle. Als sie über den Wiedereinstieg ins Berufsleben nachdachte, wusste sie nur, dass sie nicht zurück in ihren Erstberuf als gelernte Kauffrau wollte. Sie fing an zu überlegen, was sie will, sammelte Schulunterlagen, ging in die Berufs- und Laufbahnberatung und meldete sich für ein Laufbahnseminar zum Thema «Berufliche Perspektiven entwickeln» in Zürich an. «Dort wurde mir sehr schnell klar, dass ich genau das tun will, was diese Frau, die Seminarleiterin, da tut», sagt die Mutter von drei mittlerweile erwachsenen Kindern. Was alles möglich ist mit einer Neuorientierung, zeigt ihr Beispiel. Denn Karin Kuster absolvierte danach nicht nur eine vierjährige Ausbildung zur eidgenössisch diplomierten Berufs- und Laufbahnberaterin, sie war während der Ausbildung auch schwanger mit ihrem jüngsten Kind. «Auch das geht: Neuorientierung, zur Schule gehen und ein Kind bekommen», sagt die Beraterin und lacht. «Die Erfahrungen mit der Neuorientierung, die ich damals durchlaufen habe, mit allen Freuden und Ängsten, helfen mir bis heute in der Beratung meiner Klientinnen und Klienten», sagt Karin Kuster, die seit 23 Jahren als Berufs- und Laufbahnberaterin tätig ist.Der richtige ZeitpunktDoch wann ist die Zeit reif für eine Neuorientierung? Karin Kuster sagt: «Der Moment ist da, sobald jemand den Wunsch nach Veränderung spürt.» Manchmal ist es die Arbeit, die nicht mehr gefällt. Manchmal passt die Arbeitsumgebung nicht mehr zu einem. «Dass die Freude und die Motivation für die Arbeit verloren gegangen sind, merken viele, wenn sie sich am Sonntagabend regelmässig schlecht fühlen, weil sie der Beginn der neuen Arbeitswoche belastet», sagt Karin Kuster. Oft ändern sich die eigenen Werte im Laufe des Lebens und verlangen nach der inneren auch eine äussere Anpassung. Wenn zum Beispiel eine Bankangestellte findet, Geld solle nicht mehr so zentral sein, kann sie ihren Beruf als kaufmännische Angestellte trotzdem weiter ausüben, beispielsweise in einer sozialen Einrichtung, die besser zu ihren aktuellen Werten passt.Innehalten und austauschenWer unzufrieden oder gar unglücklich mit der aktuellen Berufssituation ist, sollte unbedingt innehalten, in sich horchen und mit jemandem darüber sprechen. «Oft merkt man erst dann, dass man nicht allein ist mit diesen Gedanken, so viele Menschen beschäftigen sich mit Veränderung», weiss die Laufbahnberaterin. Manche fangen dann an, Bücher über Neuorientierung zu lesen, andere besuchen Kurse oder melden sich für eine Beratung an. Bei einer Laufbahnberatung wird ganz genau hingeschaut. Zentrale Themen sind dabei die eigenen Wertvorstellungen und deren Wandel, was oft auch eine neue Vorstellung von Arbeit und Freizeit mit sich bringt. Die Gesundheit ist ein wichtiges Thema, aber auch Mut, Selbstvertrauen, Sicherheit und natürlich die persönlichen Rahmenbedingungen. Der Druck zur Veränderung kann auch von aussen kommen, wenn der Arbeitgeber Einsparung, Umstrukturierung, Digitalisierung ankündigt, wenn das Team gestresst ist oder man nicht weiss, wer gehen muss.
«Der Moment für eine Neuorientierung ist reif, sobald jemand den Wunsch nach Veränderung spürt.»
Karin Kuster
Berufs- und Laufbahnberaterin
Unterschiedliche Lösungen
Persönliche Themen spielen bei der Beratung immer mit. «Ich erlebe häufig Menschen, die gesundheitlich angeschlagen sind oder zu wenig Wertschätzung in ihrem Berufsleben erfahren, die sich nicht mehr spüren und nicht mehr wissen, was sie gut können, worin sie stark sind, was sie interessiert», sagt Karin Kuster. Manchmal ist eine medizinische oder eine psychologische Begleitung angezeigt und der Gang zum Arzt oder Therapeuten.
Manchmal ist ein Coaching, ein Kurs in Persönlichkeitsentwicklung, eine Auszeit die richtige Unterstützung. Manchmal ist das ursprüngliche Ziel nicht möglich, weil es zu teuer ist oder zu lange dauert oder die Voraussetzungen nicht erfüllt werden. Doch gibt es auch die Möglichkeit, einen Teil daraus zu leben. «Man kann ehrenamtlich wirken, einen Kurs besuchen oder als Gasthörer den Wissensdurst stillen. Man kann Nischen suchen, um Interessen und Fähigkeiten auszuleben. Gerade, wenn jemand finanziell eingeschränkt ist. Nicht alle haben die gleichen Möglichkeiten, doch wir finden fast immer gute Lösungen», sagt Karin Kuster. Suzana Cubranovic
Eine Neuorientierung läuft in drei Schritten ab
Schritt #1: Ausgangslage analysieren: Was bringt der Mensch mit an Wissen, Interesse, Werten, Wünschen, Rahmenbedingungen, Möglichkeiten?
Schritt #2: Sich gemeinsam auf den Weg machen: Laufbahnberatende begleiten den Prozess, die Auseinandersetzung mit sich selbst. Das erfolgt mit Gesprächen, Methoden, Diagnostik, verschiedenen Arbeitsmitteln, viel Literatur. In der Beratung werden Informationen über Weiterbildungen vermittelt, Bewerbungsstrategien besprochen, Ideen aufgezeigt.
Schritt #3: Hilfe beim Gewichten: Die Beratung bietet Unterstützung im Entscheidungsverhalten, bei der Frage nach der Umsetzung, dabei die ersten Schritte umzusetzen. (scu)