Mit rund 320000 Beschäftigten nimmt die MEM-Industrie als grösste industrielle Arbeitgeberin in der schweizerischen Volkswirtschaft eine Schlüsselstellung ein. Die Branche ist auch in der Ostschweiz traditionell stark verankert. In den Bereichen Elektrotechnik und Sensorik, Optik, Fahrzeug- und Metalltechnologie, Luftfahrt und Verteidigung sowie Maschinenbau und Medizinaltechnologie sind rund 53000 Mitarbeitende verteilt auf mehr als 2000 Unternehmen beschäftigt.Neue Kompetenzen sind gefragtDie zunehmende Automatisierung und Digitalisierung stellt die Branche vor grosse Herausforderungen, bietet aber auch Chancen. Besonders die Vernetzung von Menschen, Produkten, Maschinen, Systemen und Servicedienstleistungen durch digitale Technologien birgt viel Potenzial. Damit diese Möglichkeiten genutzt werden können, braucht die Branche jedoch genügend Fachkräfte mit entsprechendem Know-how. Vor allem Dateningenieure, Datenanalystinnen, Softwareentwickler und Datensicherheitsspezialisten werden in der Branche immer stärker nachgefragt. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der ZHAW über die Arbeitswelt 4.0 in der Schweizer MEM-Branche. Gemäss dieser Studie bekundeten die befragten Unternehmen jedoch Schwierigkeiten, solche Spezialisten zu rekrutieren. Das naheliegende Outsourcing dieser Kernbereiche an externe Dienstleister wird kritisch bewertet. Die Studienautoren argumentieren, dass dies zu einem Wissensverlust im Unternehmen führen könne und deshalb genau geprüft werden müsse. Stattdessen empfehlen sie den Unternehmen in die Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter zu investieren und so das Wissen im eigenen Betrieb zu halten. Um den Bedarf an Fachkräften in der MEM-Branche zu decken, wird der Weiterbildung in Zukunft also eine wachsende Bedeutung zukommen.
Neuausrichtung beginnt schon in der Lehre
Zentral für den Nachschub an Fachkräften ist aber auch eine attraktive berufliche Grundbildung. Diese muss stetig an die veränderten und teilweise auch steigenden Anforderungen in den jeweiligen Berufen angepasst werden. Das geschieht in der MEM-Branche momentan unter dem Titel «Future MEM». Ziel des Projekts ist es, die acht technischen Berufe der MEM-Industrie einer Totalrevision zu unterziehen. Das heisst, sie werden an die veränderte wirtschaftliche, technologische, ökologische, gesellschaftliche und didaktische Entwicklung angepasst. Der Kanton St. Gallen beteiligt sich als Pilot-Kanton an der Umsetzung der neuen Ausbildungen. «Das bedeutet, dass Betriebe, Schulen und überbetriebliche Kurse im Kanton St. Gallen zwei Jahre vor dem nationalen Rollout die revidierten MEM-Berufslehren und das neue Ausbildungskonzept einführen und umsetzen», sagt Bruno Müller, Leiter des Amts für Berufsbildung im Kanton St. Gallen. Gestartet werde das Projekt 2023. Bis 2027 soll dann das neue Ausbildungskonzept erprobt werden. In erster Linie gehe es in der Pilotphase darum, das neue Ausbildungskonzept in seiner ganzen Breite zu testen. «Die Erkenntnisse im Kanton St. Gallen fliessen dann in weitere Entwicklungsarbeit ein. Zusammen mit den Lernorten sollen beispielsweise Module oder Bildungsmedien verbessert werden», sagt Bruno Müller.
Die Reform der Berufsbildung in der MEM-Branche verfolgt mehrere Ziele. Zum einen wird eine Verbesserung der Lernortkooperation zwischen Betrieb, überbetrieblichem Kurs und Berufsfachschule angestrebt. Zum anderen gibt es inhaltliche Anpassungen. «Mit der Reform sollen zum Beispiel Zusatzqualifikationen wie Programmierung, IT-Sicherheit oder digitale Vernetzung entwickelt werden», sagt Bruno Müller. Zentral sei ausserdem, dass alle technischen MEM-Berufe ein homogenes Ausbildungssystem erhalten werden. Sogenannte «branchenspezifische Module » sollen die gemeinsame Basis für das gesamte MEM-Berufsfeld bilden. Dies vereinfache den Wechsel zwischen Berufen. «Durch die Definition von branchenspezifischen und berufsfeldspezifischen Modulen ergäbe sich zudem eine Effizienzsteigerung für die Ausbildungsorte und die Module können rascher inhaltlich aktualisiert werden», sagt Bruno Müller. Damit wird eine dynamischere Anpassung an die technologische Entwicklung in der Branche möglich. Patrick Baumann